Mit der Ableitung werden wir eines der wichtigsten Konzepte der Analysis kennenlernen. Die Ableitung entspricht der Änderungsrate einer Funktion. Sie wird in den Naturwissenschaften oft genutzt, um in mathematischen Modellen die Veränderung eines Systems zu modellieren. Mit Hilfe der Ableitung können wir eine Funktion auf viele ihrer Eigenschaften untersuchen.

Intuitionen der Ableitung

Für die Ableitung gibt es mehrere Intuitionen, die alle eng zusammenhängen:
Diese Intuitionen werden wir im Folgenden detailliert besprechen und aus ihnen eine formale Definition der Ableitung herleiten. Außerdem werden wir sehen, dass ableitbare Funktionen „knickfrei“ sind, weshalb sie auch glatte Funktionen genannt werden.

Ableitung als momentane Änderungsrate

Berechnung der Ableitung

Die Ableitung entspricht der momentanen Änderungsrate einer Funktion f. Wie kann diese momentane Änderungsrate einer Funktion bestimmt oder definiert werden? Sei zum Beispiel f eine reellwertige Funktion, die folgenden Graph besitzt:
Die Funktion f (Stephan Kulla: CC0)
So kann f eine physikalische Größe in Abhängigkeit von einer anderen Größe beschreiben. Beispielsweise könnte f(x) dem zurückgelegten Weg eines Objekts zum Zeitpunkt x entsprechen. f(x) könnte auch der Luftdruck in der Höhe x oder die Populationsgröße einer Art zum Zeitpunkt x sein. Nehmen wir nun das Argument {\tilde x}, an dem die Funktion den Funktionswert f({\tilde x}) besitzt:
Die Funktion f mit eingezeichnetem Argument und Funktionswert (Stephan Kulla: CC0)
Nehmen wir einmal an, dass f(x) der zurückgelegte Weg eines Autos zum Zeitpunkt x ist. Dann ist die momentane Änderungsrate von f an der Stelle {\tilde x} gleich der Geschwindigkeit des Objekts zum Zeitpunkt {\tilde x}. Wie kann diese Geschwindigkeit bestimmt werden?
Anstatt die Geschwindigkeit direkt zu berechnen, können wir sie schätzen. Wir nehmen einen Zeitpunkt x_{1} in der Zukunft und schauen, welchen Weg das Auto im Zeitraum von {\tilde x} bis x_{1} zurückgelegt hat. Der in dieser Zeit zurückgelegte Weg ist gleich der Differenz f(x_{1})-f({\tilde x}), während die Zeitdifferenz gleich x_{1}-{\tilde x} ist. Nun ist die Geschwindigkeit gleich dem Quotienten {\tfrac {{\text{Weg}}}{{\text{Zeit}}}}. Damit hat das Auto im Zeitraum von {\tilde x} nach x_{1} die durchschnittliche Geschwindigkeit
{\frac {f(x_{1})-f({\tilde x})}{x_{1}-{\tilde x}}}
Dieser Quotient, der die durchschnittliche Änderungsrate von der Funktion f im Intervall [{\tilde x},x_{1}] angibt, wird Differenzenquotient genannt. Entsprechend seines Namens ist er ein Quotient von zwei Differenzen. In folgender Abbildung sehen wir, dass dieser Differenzenquotient gleich der Steigung derjenigen Sekante ist, die durch die Punkte ({\tilde x},f({\tilde x})) und (x_{1},f(x_{1})) geht:
Die durchschnittliche Änderungsrate ist gleich der Steigung der Sekante (Stephan Kulla: CC0)
Diese durchschnittliche Geschwindigkeit ist eine erste Approximation der aktuellen Geschwindigkeit unseres Autos zum Zeitpunkt {\tilde x}. Nun muss die Bewegung des Autos zwischen den Zeitpunkten {\tilde x} und x_{1} nicht gleichförmig verlaufen sein – es kann beschleunigen oder abbremsen. Die momentane Geschwindigkeit zum Zeitpunkt {\tilde x} ist also im Allgemeinen eine andere als die durchschnittliche Geschwindigkeit im Zeitraum zwischen {\tilde x} und x_{1}. Ein besseres Ergebnis sollten wir erhalten, wenn wir den Zeitraum für die Berechnung der durchschnittlichen Geschwindigkeit verkürzen. Wir betrachten also einen Zeitpunkt x_{2}, der näher an {\tilde x} liegt, und bestimmen die durchschnittliche Geschwindigkeit {\tfrac {f(x_{2})-f({\tilde x})}{x_{2}-{\tilde x}}} für den neuen Zeitraum zwischen {\tilde x} und x_{2}:
Sekante bei einem Punkt näher an der Ableitungstelle (Stephan Kulla: CC0)
Diesen Prozess wiederholen wir beliebig oft. Wir betrachten also eine Folge (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} von Zeitpunkten, die alle von {\tilde x} verschieden sind und die gegen {\tilde x} konvergieren. Für jedes x_{n} berechnen wir die durchschnittliche Geschwindigkeit {\tfrac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}} des Autos im Zeitraum von {\tilde x} bis x_{n}. Je kürzer x_{n}-{\tilde x} ist, desto weniger sollte das Auto in diesem Zeitraum beschleunigen oder abbremsen können und umso mehr entspricht dann die durchschnittliche Geschwindigkeit der momentanen Geschwindigkeit des Autos zum Zeitpunkt {\tilde x}:
Die Sekantensteigungen (= durchschnittliche Änderungsrate) geht in die Ableitung (= momentane Änderungsrate) über (Stephan Kulla: CC0)
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Weil der Zeitabstand x_{n}-x beliebig klein wird (es ist \lim _{{n\to \infty }}x_{n}-x=0), sollte die Folge der Durchschnittsgeschwindigkeiten \left({\tfrac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} gleich der momentanen Geschwindigkeit des Autos zum Zeitpunkt {\tilde x} sein.
Damit haben wir eine Methode gefunden, um die momentane Änderungsrate von f an der Stelle {\tilde x} zu bestimmen: Wir nehmen eine beliebige Folge von Argumenten (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}, die alle verschieden von {\tilde x} sind und für die \lim _{{n\to \infty }}x_{n}={\tilde x} ist. Für jedes x_{n} bestimmen wir den Quotienten {\tfrac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}. Die momentane Änderungsrate ist der Grenzwert dieser Quotienten:
{\text{Änderungsrate von }}f{\text{ an der Stelle }}{\tilde x}=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}
Für die Ableitung von f an der Stelle {\tilde x} schreiben wir f'({\tilde x}). Damit können wir notieren:
f'({\tilde x})=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}
Der dabei auftretende Grenzwert der Differenzenquotienten wird Differentialquotient genannt.

Konkretisierung

Nun haben wir in unserem Beispiel stets Zeitpunkte in der Zukunft von {\tilde x} betrachtet. Was passiert, wenn wir einen Zeitpunkt x_{n} in der Vergangenheit von {\tilde x} betrachten? Hier erhalten wir folgendes Bild:
Die durchschnittliche Änderungsrate bezüglich eines Arguments kleiner der Ableitungsstelle (Stephan Kulla: CC0)
Die durchschnittliche Geschwindigkeit im Zeitraum von x_{n} bis {\tilde x} ist dann gleich {\tfrac {f({\tilde x})-f(x_{n})}{{\tilde x}-x_{n}}}. Wenn wir diesen Quotienten um -1 erweitern, erhalten wir:
{\frac {f({\tilde x})-f(x_{n})}{{\tilde x}-x_{n}}}={\frac {-\left(f({\tilde x})-f(x_{n})\right)}{-({\tilde x}-x_{n})}}={\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}
Wir erhalten denselben Term wie im vorherigen Abschnitt. Dieser gibt die durchschnittliche Geschwindigkeit an, egal ob x_{n}<{\tilde x} oder x_{n}>{\tilde x} ist. Damit sollte dessen Wert im Fall x_{n}<{\tilde x} auch nah an der momentanen Geschwindigkeit des Autos zum Zeitpunkt {\tilde x} liegen, wenn x_{n} nur hinreichend nah an {\tilde x} liegt. Es ist also
f'({\tilde x})=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}
wobei (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} eine beliebige Folge von Argumenten ungleich {\tilde x} mit \lim _{{n\to \infty }}x_{n}={\tilde x} ist. Die Folgenglieder von (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} können dabei je nach Index n manchmal größer und manchmal kleiner als {\tilde x} sein:
Eine Folge von Sekanten, um die Ableitung zu berechnen (Stephan Kulla: CC0)

Verfeinerung der Definition

Sei nun f:D\to \mathbb{R} eine beliebige reellwertige Funktion und sei {\tilde x}\in D. Wie wir im obigen Abschnitt gesehen haben, ist
f'({\tilde x})=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}
wobei \left(x_{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} eine Folge von Argumenten ungleich {\tilde x} ist, die gegen {\tilde x} konvergiert. Damit es mindestens eine solche Folge von Argumenten gibt, muss {\tilde x} ein Häufungspunkt vom Definitionsbereich D sein (eine Zahl ist genau dann Häufungspunkt einer Menge, wenn es eine Folge in dieser Menge ungleich dieser Zahl gibt, die gegen diese Zahl konvergiert). Das hört sich jetzt vielleicht komplizierter an, als es häufig ist. In den meisten Fällen ist D\subseteq \mathbb{R} ein Intervall und dann ist jedes {\tilde x}\in D ein Häufungspunkt von D. Für die Definition des Differentialquotienten soll es egal sein, welche Folge (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} wir wählen. Dementsprechend können wir die Ableitung definieren:
Sei f:D\to \mathbb{R} mit D\subseteq \mathbb{R} und sei {\tilde x}\in D ein Häufungspunkt von D. Die Funktion f ist an der Stelle {\tilde x} ableitbar mit der Ableitung f'({\tilde x}), wenn für jede Folge (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} von Argumenten ungleich {\tilde x} und mit \lim _{{n\to \infty }}x_{n}={\tilde x} gilt:
f'({\tilde x})=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}
Nun können wir diese Definition abkürzen, indem wir die Grenzwertdefinition für Funktionen benutzen. Zur Erinnerung: Es ist nach Definition genau dann \lim _{{x\to c}}g(x)=L, wenn \lim _{{n\to \infty }}g(x_{n})=L für alle Folgen (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} von Argumenten ungleich c mit \lim _{{n\to \infty }}x_{n}=c ist. Also:
Sei f:D\to \mathbb{R} mit D\subseteq \mathbb{R} und sei {\tilde x}\in D ein Häufungspunkt von D. Die Funktion f ist an der Stelle {\tilde x} ableitbar mit der Ableitung f'({\tilde x}), wenn gilt:
f'({\tilde x})=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}

Die h-Methode

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Es gibt eine weitere Möglichkeit, die Ableitung zu definieren. Hierzu gehen wir vom Differentialquotienten \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} aus und führen die Variablenersetzung x={\tilde x}+h durch. Die neue Variable h ist also der Unterschied zwischen der Stelle {\tilde x}, bei der die Ableitung bestimmt werden soll, zu dem Punkt, wo der Differenzenquotient gebildet wird. Für x\to {\tilde x} geht h\to 0. Damit können wir die Ableitung auch definieren als
Sei f:D\to \mathbb{R} mit D\subseteq \mathbb{R} und sei {\tilde x}\in D ein Häufungspunkt von D. Die Funktion f ist an der Stelle {\tilde x} ableitbar mit der Ableitung f'({\tilde x}), wenn gilt:
f'({\tilde x})=\lim _{{h\to 0}}{\frac {f({\tilde x}+h)-f({\tilde x})}{h}}

Anwendungen in den Naturwissenschaften

Die Ableitung haben wir als momentane Änderungsrate einer Größe kennengelernt. Als solche tritt sie in den Naturwissenschaften häufig auf. Folgende Größen sind beispielsweise als Änderungsraten definiert:

Definitionen

Ableitung und Differenzierbarkeit

Definition:
Sei f:D\to \mathbb{R} mit D\subseteq \mathbb{R} und sei {\tilde x}\in D ein Häufungspunkt von D. Die Funktion f ist an der Stelle {\tilde x} ableitbar mit der Ableitung f'({\tilde x}), wenn gilt:
f'({\tilde x})=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Äquivalent kann in der Definition auch gefordert werden:
f'({\tilde x})=\lim _{{h\to 0}}{\frac {f({\tilde x}+h)-f({\tilde x})}{h}}
Eine an der Stelle {\tilde x} ableitbare Funktion nennt man an der Stelle {\tilde x} differenzierbar. Eine Funktion heißt ableitbar oder differenzierbar, wenn an jeder Stelle ihres Definitionsbereichs der obige Grenzwert existiert. Differenzierbare Funktionen sind also überall, wo sie definiert sind, differenzierbar.

Differenzenquotient und Differentialquotient

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Die Begriffe „Differenzenquotient“ und „Differentialquotient“ sind folgendermaßen definiert:
\underbrace {f'({\tilde x})}_{{{\text{Ableitung}}}}=\underbrace {\lim _{{x\to {\tilde x}}}\underbrace {{\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}}_{{{\text{Differenzenquotient}}}}}_{{{\text{Differentialquotient}}}}
Es gelten also folgende Definitionen:
Definition: Differenzenquotient
Der Differenzenquotient einer Funktion f:D\to \mathbb{R} mit D\subseteq \mathbb{R} im Intervall [{\tilde x},x] ist der Quotient
{\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Dieser Quotient entspricht der Steigung der Sekanten zwischen den Punkten ({\tilde x},f({\tilde x})) und (x,f(x)).
Definition: Differentialquotient
Sei f:D\to \mathbb{R} mit D\subseteq \mathbb{R} . Sei {\tilde x}\in D ein Häufungspunkt des Definitionsbereichs D. Der Differentialquotient dieser Funktion an der Stelle {\tilde x} ist der Grenzwert:
\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Wenn dieser Grenzwert existiert und eine reelle Zahl ist, entspricht er der Ableitung f'({\tilde x}).

Ableitungsfunktion

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Ist eine Funktion f:D\to \mathbb{R} mit D\subseteq \mathbb{R} an jeder Stelle ihres Definitionsbereichs differenzierbar, so besitzt f an jedem Punkt in D eine Ableitung. Die Funktion, die jedem Argument {\tilde x} ihre Ableitung f'({\tilde x}) zuordnet, heißt Ableitungsfunktion von f:
Definition: Ableitungsfunktion
Sei f:D\to \mathbb{R} eine differenzierbare Funktion mit D\subseteq \mathbb{R} . Wir definieren die Ableitungsfunktion f':D\to \mathbb{R} durch
f'({\tilde x}):=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}}
Ist die Ableitungsfunktion f' zusätzlich noch stetig, so nennt man f stetig differenzierbar .
Warnung:
Die Begriffe „stetig differenzierbar“ und „differenzierbar“ sind nicht äquivalent. Die Stetigkeit der Ableitungsfunktion ist eine echte zusätzliche Forderung.

Notationen

Geschichtlich bedingt wurden unterschiedliche Notationen entwickelt, um die Ableitung einer Funktion darzustellen. In diesem Artikel haben wir bisher nur die Notation f' für die Ableitung von f kennengelernt. Sie geht auf den Mathematiker Joseph-Louis Lagrange zurück, der sie 1797 einführteerror: TODO . Mit dieser Notation wird die zweite Ableitung von f mit f'' und die n-te Ableitung mittels f^{{(n)}} notiert.
Isaac Newton - neben Leibniz der Begründer der Differentialrechnung - notierte die erste Ableitung von x mit {\dot x}, entsprechend notierte er die zweite Ableitung durch {\ddot x}. Heutzutage wird diese Schreibweise hauptsächlich in der Physik für die Ableitung nach der Zeit verwendet.
Gottfried Wilhelm Leibniz führt für die erste Ableitung von f nach der Variablen x die Notation {\tfrac {{\mathrm {d}}f}{{\mathrm {d}}x}}(x) ein. Gelesen wird diese Schreibweise als „d f von x nach d x“. Für die zweite Ableitung notierte Leibniz {\tfrac {{\mathrm {d}}^{2}f}{{\mathrm {d}}x^{2}}}(x) und die n-te Ableitung wird mittels {\tfrac {{\mathrm {d}}^{n}f}{{\mathrm {d}}x^{n}}}(x) notiert.
Bei den Schreibweisen von Leibniz handelt es sich nicht um einen Bruch! Die Symbole {\mathrm {d}}f und {\mathrm {d}}x werden als Differentiale bezeichnet, welche aber in der modernen Analysis (abgesehen von der Theorie der sogenannten „Differentialformen“) lediglich eine symbolische Bedeutung haben. Sie sind nur in dieser Schreibweise als formaler Differentialquotient erlaubt. Nun gibt es Anwendungen der Ableitung (wie zum Beispiel die „Kettenregel“ oder „Integration durch Substitution“), in denen man mit den Differentialen {\mathrm {d}}f beziehungsweise {\mathrm {d}}x so umgehen kann, als seien sie gewöhnliche Variablen und in denen man so zu richtigen Lösungen kommt. Da es aber in der modernen Analysis keine Differentiale gibt, handelt es sich bei solchen Rechnungen nicht um formal richtige Argumentationen.
Die Notation Df oder D_{x}f(x) für die erste Ableitung von f geht auf Leonhard Euler zurück. In dieser Notation wird die zweite Ableitung durch D^{2}f oder D_{x}^{2}f(x) und die n-te Ableitung durch D^{n}f oder D_{x}^{n}f(x) geschrieben.

Übersicht zu allen Notationen

Schreibweise von …
1. Ableitung
2. Ableitung
n-te Ableitung
Lagrange
f'
f''
f^{{(n)}}
Newton
{\dot f}
{\ddot f}
{\overset {\,n}{{\dot {f}}}}
Leibniz
{\tfrac {{\mathrm {d}}f}{{\mathrm {d}}x}}
{\tfrac {{\mathrm {d}}^{2}f}{{\mathrm {d}}x^{2}}}
{\tfrac {{\mathrm {d}}^{n}f}{{\mathrm {d}}x^{n}}}
Euler
Df
D^{2}f
D^{n}f

Ableitung als Tangentensteigung

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Die Ableitung f'({\tilde x}) entspricht dem Grenzwert \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}. Dabei ist der Differenzenquotient {\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} die Steigung der Sekante zwischen den Punkten ({\tilde x},f({\tilde x})) und (x,f(x)). Bei der Grenzwertbildung x\to {\tilde x} geht diese Sekante in die Tangente über, die den Graphen von f im Punkt ({\tilde x},f({\tilde x})) berührt:
Funktion mit eingezeichneter Sekante und Tangente (Johannes Schneider: CC BY-SA 4.0)
Damit ist die Ableitung f'({\tilde x}) gleich der Steigung der Tangente am Graphen durch den Punkt ({\tilde x},f({\tilde x})). Die Ableitung kann also genutzt werden, um die Tangente an einem Graphen zu bestimmen. Somit löst sie auch ein geometrisches Problem. Mit f'({\tilde x}) kennen wir die Steigung der Tangente und mit ({\tilde x},f({\tilde x})) einen Punkt auf der Tangente. Damit können wir die Funktionsgleichung dieser Tangente bestimmen.
Verständnisfrage: Wie lautet die Tangentengleichung, wenn ihre Steigung gleich f'(x) und sie durch den Punkt ({\tilde x},f({\tilde x})) geht?
Die allgemeine Formel einer linearen Funktion g ist g(x)=mx+y_{0}. Dabei ist m die Steigung von g und y_{0} ist der Schnittpunkt von g mit der y-Achse. Sei nun t die gesuchte Tangente. Diese besitzt die Steigung f'({\tilde x}) und damit gilt t(x)=f'({\tilde x})\cdot x+y_{0}.
Wir müssen noch y_{0} bestimmen. Weil t durch den Punkt ({\tilde x},f({\tilde x})) geht, ist
{\begin{aligned}&f({\tilde x})=t({\tilde x})=f'({\tilde x})\cdot {\tilde x}+y_{0}\\\implies {}&y_{0}=f({\tilde x})-f'({\tilde x})\cdot {\tilde x}\end{aligned}}
Damit ist
{\begin{aligned}t(x)&=f'({\tilde x})\cdot x+f({\tilde x})-f'({\tilde x})\cdot {\tilde x}\\&=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})\end{aligned}}
Durch Kenntnis der Ableitung f'({\tilde x}) kann also die Tangengleichung bestimmt werden.

Ableitung als Steigung der lokal besten linearen Approximation

Approximation einer differenzierbaren Funktion

Die Ableitung kann auch zur Approximation einer Funktion genutzt werden. Um diese Approximation zu finden gehen wir von der Grenzwertdefinition der Ableitung aus:
f'({\tilde x})=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Der Differenzenquotient {\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} liegt also beliebig nah an der Ableitung f'({\tilde x}), wenn x hinreichend nah an {\tilde x} ist. Für x\approx {\tilde x} können wir schreiben:
f'({\tilde x})\approx {\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Im Folgenden nehmen wir an, dass der Ausdruck x\approx {\tilde x} für „x ist ungefähr so groß wie {\tilde x}“ wohldefiniert ist und den üblichen Rechengesetzen für Gleichungen gehorcht. Damit können wir diese Gleichung umstellen zu
{\begin{aligned}&&f'({\tilde x})&\approx {\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&\implies {}&f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})&\approx f(x)-f({\tilde x})\\[0.3em]&\implies {}&f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})&\approx f(x)\\[0.3em]&\implies {}&f(x)&\approx f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})\end{aligned}}
Wenn x hinreichend nah an {\tilde x} liegt, dann ist f(x) ungefähr gleich dem Wert f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x}). Dieser Wert kann somit in der Nähe der Ableitungsstelle als Approximation von f(x) verwendet werden. Dabei ist die Funktion mit der Zuordnungsvorschrift x\mapsto f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x}) eine lineare Funktion, da {\tilde x} ein beliebiger aber fester Punkt ist.
Die Zuordnungsvorschrift t(x)=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x}) beschreibt dabei die Tangente, die den Funktionsgraphen an der Stelle der Ableitung berührt. Die Tangente ist also in der Nähe des Berührungspunkts eine gute Approximation des Funktionsgraphen. Dies zeigt auch das folgende Diagramm. Wenn man in einer differenzierbaren Funktion an einer Stelle nah genug reinzoomt, so sieht der Funktionsgraph näherungsweise wie eine Gerade aus:
Differenzierbare Funktion sehen lokal wie eine Gerade aus (Stephan Kulla: CC BY 3.0)
Diese Gerade wird durch die Zuordnungsvorschrift t(x)=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x}) beschrieben und entspricht der Tangente des Graphen an dieser Stelle.

Beispiel: Kleinwinkelnäherung des Sinus

Schauen wir uns das gerade Besprochene an einem Beispiel an. Hierfür betrachten wir die, für gewöhnlich aus der Schule bekannte, Sinusfunktion \sin(x). Ihr Graph ist
Der Graph der Sinus-Funktion (Stephan Kulla: CC0)
Wie wir noch sehen werden, ist die Ableitung des Sinus der Kosinus und damit ist
\sin '(0)=\cos(0)=1
Nach dem Abschnitt zur Approximation gilt damit
\sin(x)\approx \sin(0)+\sin '(0)\cdot (x-0)=0+1\cdot (x-0)=x
In der Nähe der Null ist also \sin(x)\approx x. Dies ist die sogenannte Kleinwinkelnäherung . So kann \sin \left({\tfrac 14}\right) durch {\tfrac 14} angenähert werden. Mit \sin \left({\tfrac 14}\right)=0{,}2474\ldots ist diese Annäherung auch recht gut. Im folgenden Diagramm sieht man, dass in der Nähe des Nullpunkts die Sinusfunktion ungefähr durch \sin(x)\approx x beschrieben werden kann:
Die Kleinwinkelnäherung für die Sinus-Funktion (Stephan Kulla: CC0)
Das Diagramm zeigt aber auch, dass diese Approximation nur in der Nähe der Ableitungstelle gut ist. Bei Werten x weit weg von der Null unterscheidet sich \sin(x) stark von x. Die Approximation \sin(x)\approx x ist folglich nicht immer sinnvoll.

Qualität der Approximation

Wie gut ist die Approximation f(x)\approx f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})? Um dies zu beantworten, sei \epsilon (x) derjenige Wert mit
{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}=f'({\tilde x})+\epsilon (x)
Der Wert \epsilon (x) ist damit der Unterschied zwischen dem Differenzenquotienten {\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} und der Ableitung f'({\tilde x}). Dieser Unterschied verschwindet für den Grenzübergang x\to {\tilde x}, weil für diesen Grenzübergang der Differenzenquotient in den Differentialquotienten, also der Ableitung f'({\tilde x}), übergeht. Es gilt also \lim _{{x\to {\tilde x}}}\epsilon (x)=0. Nun können wir die obige Gleichung umstellen und erhalten so
{\begin{aligned}&&{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}&=f'({\tilde x})+\epsilon (x)\\[0.3em]&\implies {}&f(x)-f({\tilde x})&=f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\epsilon (x)\cdot (x-{\tilde x})\\[0.3em]&\implies {}&f(x)&=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\underbrace {\epsilon (x)\cdot (x-{\tilde x})}_{{:=\ \delta (x)}}\\[0.3em]&\implies {}&f(x)&=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x)\end{aligned}}
Der Fehler zwischen f(x) und f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x}) ist damit gleich dem Term \delta (x)=\epsilon (x)\cdot (x-{\tilde x}). Wegen \lim _{{x\to {\tilde x}}}\epsilon (x)=0 ist auch
\lim _{{x\to {\tilde x}}}\delta (x)=\lim _{{x\to {\tilde x}}}\underbrace {\epsilon (x)}_{{\to 0}}\cdot \underbrace {(x-{\tilde x})}_{{\to 0}}=0
Der Fehler \delta (x) verschwindet also für x\to {\tilde x}. Wir können aber noch mehr sagen: \delta (x) fällt schneller als ein linearer Term gegen Null ab. Selbst wenn wir \delta (x) durch x-{\tilde x} teilen und so diesen Term in der Nähe von {\tilde x} stark vergrößern, verschwindet {\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}} für x\to {\tilde x}. Es ist nämlich
\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {\epsilon (x)(x-{\tilde x})}{x-{\tilde x}}}=\lim _{{x\to {\tilde x}}}\epsilon (x)=0
Der Fehler \delta (x) in der Approximation f(x)\approx f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x}) fällt also für x\to {\tilde x} schneller als linear gegen Null ab. Fassen wir die bisherige Argumentation in einem Satz zusammen:
Satz: Approximation einer differenzierbaren Funktion
Sei f:D\to \mathbb{R} und sei {\tilde x}\in D ein Häufungspunkt von D. Sei außerdem f an der Stelle {\tilde x} differenzierbar mit der Ableitung f'({\tilde x}). Seien \epsilon und \delta so definiert, dass für alle x\in D gilt
{\begin{aligned}f(x)&=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\epsilon (x)\cdot (x-{\tilde x})\\[0.3em]&=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x)\end{aligned}}
Dann verschwindet der Fehlerterm \epsilon (x) für x\to {\tilde x}, das heißt \lim _{{x\to {\tilde x}}}\epsilon (x)=0. Für \delta (x) gilt dementsprechend \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=0.

Alternative Definition der Ableitung

Dass differenzierbare Funktionen durch lineare Funktionen approximiert werden können, charakterisiert den Begriff der Ableitung. Jede Funktion f ist an der Stelle {\tilde x} ableitbar, wenn eine reelle Zahl c\in \mathbb{R} sowie eine Funktion \delta existieren, so dass f(x)=f({\tilde x})+c\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x) und \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=0 gelten. Ihre Ableitung ist dann f'({\tilde x})=c. Es gilt nämlich
{\begin{aligned}f'({\tilde x})&=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {f({\tilde x})+c\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {c\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x)}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&=\lim _{{x\to {\tilde x}}}c+\underbrace {{\frac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}}_{{\to 0}}\\[0.3em]&=c\end{aligned}}
Somit können wir die Ableitung auch wie folgt definieren:
Definition: Alternative Definition der Ableitung
Sei f:D\to \mathbb{R} eine Funktion und {\tilde x}\in D ein Häufungspunkt von D. Die Funktion f ist genau dann im Punkt {\tilde x} differenzierbar mit der Ableitung f'({\tilde x})\in \mathbb{R} , wenn eine Funktion \delta :D\to \mathbb{R} existiert, so dass
f(x)=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x)
und \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=0 gelten.

Beschreibung der Ableitung über stetige Funktion

Es gibt eine weitere Charakterisierung der Ableitung. Wir beginnen hierfür mit der Formel
{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}=f'({\tilde x})+\epsilon (x)
Dabei ist \epsilon (x) der Unterschied zwischen dem Differenzenquotienten und der Ableitung, welcher für x\to {\tilde x} verschwindet. Wenn wir diese Formel umstellen erhalten wir:
{\begin{aligned}&&{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}&=f'({\tilde x})+\epsilon (x)\\[0.3em]&\implies {}&f(x)-f({\tilde x})&=f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\epsilon (x)\cdot (x-{\tilde x})\\[0.3em]&\implies {}&f(x)&=f({\tilde x})+(f'({\tilde x})+\epsilon (x))\cdot (x-{\tilde x})\\[0.3em]&&&\ {\color {Gray}\left\downarrow \ \varphi (x)=f'({\tilde x})+\epsilon (x)\right.}\\[0.3em]&\implies {}&f(x)&=f({\tilde x})+\varphi (x)\cdot (x-{\tilde x})\end{aligned}}
Dabei erfüllt \varphi (x) für x\to {\tilde x} die Eigenschaft
\lim _{{x\to {\tilde x}}}\varphi (x)=\lim _{{x\to {\tilde x}}}(f'({\tilde x})+\underbrace {\epsilon (x)}_{{\to 0}})=f'({\tilde x})
Damit kann \varphi (x) in eine an der Stelle {\tilde x} stetige Funktion erweitert werden, wobei der Funktionswert \varphi ({\tilde x})=f'({\tilde x}) gewählt wird. Diese Darstellung einer ableitbaren Funktion ermöglicht eine weitere Charakterisierung stetiger Funktionen:
Satz: Äquivalente Charakterisierung der Ableitung
Eine Funktion f:D\to \mathbb{R} ist in {\tilde x}\in D genau dann differenzierbar, wenn es eine in {\tilde x} stetige Abbildung \varphi :D\to \mathbb{R} gibt, die folgende Gleichung erfüllt:
f(x)=f({\tilde x})+\varphi (x)\cdot (x-{\tilde x})
In diesem Fall ist \varphi ({\tilde x})=f'({\tilde x}).
Beweis
Beweisschritt: f(x)=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x) mit \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=0 \Longrightarrow f(x)=f({\tilde x})+\varphi (x)\cdot (x-{\tilde x}) mit \varphi ({\tilde x})=f'({\tilde x})
Gelte also f(x)=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x), wobei \delta :D\to \mathbb{R} eine Funktion mit \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=0 sei. Nun gilt für x\in D\setminus \{{\tilde x}\}
{\begin{aligned}f(x)&=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x)\\[0.3em]&=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+{\tfrac {\delta (x)(x-{\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&=f({\tilde x})+\left(f'({\tilde x})+{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}\right)\cdot (x-{\tilde x})\end{aligned}}
Setzen wir nun \varphi :D\to \mathbb{R} ,\varphi (x)=f'({\tilde x})+{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}. So folgt
\lim _{{x\to {\tilde x}}}\varphi (x)=\lim _{{x\to {\tilde x}}}f'({\tilde x})+\underbrace {\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}}_{{=0}}=f'({\tilde x})
Also ist \varphi stetig (fortsetzbar) in {\tilde x}\in D mit \varphi ({\tilde x})=f'({\tilde x}).
Beweisschritt: f(x)=f({\tilde x})+\varphi (x)\cdot (x-{\tilde x}) mit \varphi ({\tilde x})=f'({\tilde x}) \Longrightarrow f(x)=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x) mit \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=0
Gelte nun f(x)=f({\tilde x})+\varphi (x)\cdot (x-{\tilde x}) mit einer in {\tilde x}\in D stetigen Funktion \varphi :D\to \mathbb{R} , wobei \varphi ({\tilde x})=f'({\tilde x}). Für x\in D\setminus \{{\tilde x}\} gilt dann
{\begin{aligned}f(x)&=f({\tilde x})+\varphi (x)\cdot (x-{\tilde x})\\[0.3em]&=f({\tilde x})+(\varphi (x)+\varphi ({\tilde x})-\varphi ({\tilde x}))\cdot (x-{\tilde x})\\[0.3em]&=f({\tilde x})+\varphi ({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+(\varphi (x)-\varphi ({\tilde x}))\cdot (x-{\tilde x})\\[0.3em]&=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+(\varphi (x)-\varphi ({\tilde x}))\cdot (x-{\tilde x})\end{aligned}}
Setzen wir nun \delta :D\to \mathbb{R} ,\delta (x)=(\varphi (x)-\varphi ({\tilde x}))\cdot (x-{\tilde x}). So folgt
\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=\lim _{{x\to {\tilde x}}}(\varphi (x)-\varphi ({\tilde x}))=\varphi ({\tilde x})-\varphi ({\tilde x})=0

Ableitung als verallgemeinerte Steigung

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Die Steigung ist zunächst nur für lineare Funktionen g mit der Zuordnungsvorschrift g(x)=mx+b mit m,b\in \mathbb{R} definiert. Bei solchen Funktionen ist die Steigung gleich dem Wert m und kann über den Differenzenquotienten berechnet werden. Für zwei verschiedene Argumente x und {\tilde x} aus dem Definitionsbereich von g gilt nämlich
{\begin{aligned}{\frac {g(x)-g({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}&={\frac {(mx+b)-(m{\tilde x}+b)}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&={\frac {mx-m{\tilde x}}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&={\frac {m(x-{\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&=m\end{aligned}}
Nun ist m auch die Ableitung von g an jedem Häufungspunkt {\tilde x} des Definitionsbereichs:
{\begin{aligned}g'({\tilde x})&=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {g(x)-g({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ {\text{Siehe obige Rechnung}}\right.}\\[0.3em]&=\lim _{{x\to {\tilde x}}}m=m\end{aligned}}
Die Ableitung linearer Funktionen ist daher stets gleich ihrer Steigung. Der Begriff der Ableitung stimmt also bei linearen Funktionen mit jenem der Steigung überein. Außerdem ist er bei allen differenzierbaren Funktionen definiert. Somit stellt die Ableitung eine Verallgemeinerung der Steigung dar. Zur Erinnerung: Ein Begriff A ist genau dann eine Verallgemeinerung eines anderen Begriffs B, wenn A überall dort mit B übereinstimmt, wo B definiert ist und A auf weitere Fälle angewandt werden kann.
Somit können wir die Ableitung als momentane Steigung einer Funktion ansehen. Der Steigungsbegriff geht damit von einer globalen Eigenschaft (die Steigung bei linearen Funktionen ist für die gesamte Funktion definiert), in eine lokale Eigenschaft über (die Ableitung ist die momentane Änderungsrate einer Funktion).

Beispiele

Beispiel einer differenzierbaren Funktion

Beispiel: Quadratfunktion ist an der Stelle 3 ableitbar
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Die Quadratfunktion f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} :x\mapsto x^{2} ist ableitbar an der Stelle x_{0}=3 mit der Ableitung 6. Dieses Resultat erhalten wir, wenn wir den Differentialquotienten an der Stelle x_{0}=3 auswerten:
{\begin{aligned}f'(3)&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(3+h)-f(3)}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {(3+h)^{2}-3^{2}}{h}}\\[0.3em]&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {9+6h+h^{2}-9}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {6h+h^{2}}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{(6+h)}\end{aligned}}
Der letzte Ausdruck zeigt, dass der Differenzenquotient gleich 6+h für h\neq 0 ist (für h=0 ist der Differenzenquotient nicht definiert, weil sonst durch Null geteilt wird). Nun müssen wir den Grenzwert von 6+h für h\to 0 bestimmen:
\lim _{{h\to 0}}{(6+h)}=6+0=6
Damit ist die Ableitung von f an der Stelle x_{0}=3 gleich 6, also f'(3)=6. Analog können wir die Ableitung von f an einer beliebigen Stelle {\tilde x}\in \mathbb{R} bestimmen:
{\begin{aligned}f'({\tilde x})&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {f({\tilde x}+h)-f({\tilde x})}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {({\tilde x}+h)^{2}-{\tilde x}^{2}}{h}}\\[0.3em]&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {{\tilde x}^{2}+2{\tilde x}h+h^{2}-{\tilde x}^{2}}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {2{\tilde x}h+h^{2}}{h}}\\[0.3em]&=\lim _{{h\to 0}}{(2{\tilde x}+h)}=2{\tilde x}\end{aligned}}
Damit ist die Ableitung der Quadratfunktion an der Stelle {\tilde x} gleich f'({\tilde x})=2{\tilde x}. Die Ableitungsfunktion von f ist damit die Funktion f':\mathbb{R} \to \mathbb{R} :x\mapsto 2x.

Beispiel einer nicht differenzierbaren Funktion

Beispiel: Betragsfunktion ist nicht differenzierbar
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Wir betrachten die Betragsfunktion f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} ,x\mapsto |x| und prüfen, ob sie an der Stelle x_{0}=0 ableitbar ist. Hier wählen wir die Folgen (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}, ({\tilde {x}}_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} und ({\hat {x}}_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} mit
x_{n}={\frac {1}{n}},\quad {\tilde {x}}_{n}=-{\frac {1}{n}},\quad {\hat {x}}_{n}=(-1)^{n}{\frac {1}{n}}
Diese konvergieren alle gegen x_{0}=0. Nun betrachten wir die Differentialquotienten zu den einzelnen Folgen. Für (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} ergibt sich:
{\begin{aligned}\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {f(x_{n})-f(x_{0})}{x_{n}-x_{0}}}}&=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {|{\frac {1}{n}}|-|0|}{{\frac {1}{n}}-0}}}=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {{\frac {1}{n}}}{{\frac {1}{n}}}}}\\[0.3em]&=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{1}=1\end{aligned}}
Für ({\tilde {x}}_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} bekommen wir:
{\begin{aligned}\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {f({\tilde {x}}_{n})-f(x_{0})}{{\tilde {x}}_{n}-x_{0}}}}&=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {|-{\tfrac {1}{n}}|-|0|}{-{\tfrac {1}{n}}-0}}}=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {{\tfrac {1}{n}}}{-{\tfrac {1}{n}}}}}\\[0.3em]&=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{-1}=-1\end{aligned}}
Für ({\hat {x}}_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} gilt:
{\begin{aligned}\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {f({\hat {x}}_{n})-f(x_{0})}{{\hat {x}}_{n}-x_{0}}}}&=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {|(-1)^{n}{\tfrac {1}{n}}|-|0|}{(-1)^{n}{\tfrac {1}{n}}-0}}}\\[0.3em]&=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {{\tfrac {1}{n}}}{(-1)^{n}{\tfrac {1}{n}}}}}=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{(-1)^{n}}\end{aligned}}
Dieser Grenzwert für die Folge ({\hat {x}}_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} existiert nicht. Wir sehen daher, dass je nach gewählter Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} der Grenzwert \lim _{{n\to \infty }}{\tfrac {f(a_{n})-f(x_{0})}{a_{n}-x_{0}}} unterschiedlich ist oder nicht existiert. Damit existiert nach Definition auch nicht der Grenzwert \lim _{{x\to x_{0}}}{\tfrac {f(x)-f(x_{0})}{x-x_{0}}}, womit die Funktion f an der Stelle x_{0}=0 nicht ableitbar ist. Die Betragsfunktion besitzt am Nullpunkt keine Ableitung.

Links- und rechtsseitige Ableitung

Definition

Die Ableitung einer Funktion f:D\to \mathbb{R} ist der Grenzwert des Differenzenquotienten {\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} für x\to {\tilde x}. Der Differenzenquotient kann dabei als eine Funktion D\setminus \{{\tilde x}\}\to \mathbb{R} aufgefasst werden, die für alle x\in D außer für x={\tilde x} definiert ist. Damit handelt es sich beim Grenzwert \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} um einen Grenzwert einer Funktion.
Die Begriffe error: internal links not implemented, yet! können auch für den Differenzenquotienten betrachtet werden. So erhalten wir die Begriffe „linksseitige“ beziehungsweise „rechtsseitige“ Ableitung. Bei der linksseitigen Ableitung werden nur Sekanten links von der betrachteten Stelle evaluiert. Es werden also nur Differenzenquotienten {\tfrac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} betrachtet, bei der x<{\tilde x} ist. Dann wird überprüft, ob diese Differenzenquotienten für den Grenzübergang x\to {\tilde x} gegen eine Zahl konvergieren. Wenn ja, dann ist diese Zahl der linksseitige Grenzwert. Also:
{f_{{-}}}'({\tilde x})=\lim _{{x\uparrow {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Dabei ist {f_{{-}}}'({\tilde x}) die Schreibweise für die linksseitige Ableitung von f an der Stelle {\tilde x}. Damit dieser Grenzwert Sinn ergibt, muss es mindestens eine Folge (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} von Argumenten geben, die von links gegen {\tilde x} konvergiert. Es muss also {\tilde x} ein Häufungspunkt der Menge D\cap (-\infty ,{\tilde x})=\{x\in D:x<{\tilde x}\} sein.
Definition: Linksseitige Ableitung
Sei f:D\to \mathbb{R} eine Funktion und {\tilde x} ein Häufungspunkt der Menge \{x\in D:x<{\tilde x}\}. Die Zahl {f_{{-}}}'({\tilde x}) ist die linksseitige Ableitung von f an der Stelle {\tilde x}, wenn gilt
{f_{{-}}}'({\tilde x})=\lim _{{x\uparrow {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Dies ist äquivalent dazu, dass für alle Folgen (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} aus \mathbb{N} mit x_{n}\in D und x_{n}<{\tilde x} sowie \lim _{{n\to \infty }}x_{n}={\tilde x} gilt
{f_{{-}}}'({\tilde x})=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}
Auf analoge Weise kann die rechtsseitige Ableitung folgendermaßen definiert werden:
Definition: Rechtsseitige Ableitung
Sei f:D\to \mathbb{R} eine Funktion und {\tilde x} ein Häufungspunkt der Menge \{x\in D:x>{\tilde x}\}. Die Zahl {f_{{+}}}'({\tilde x}) ist die rechtsseitige Ableitung von f an der Stelle {\tilde x}, wenn gilt
{f_{{+}}}'({\tilde x})=\lim _{{x\downarrow {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Dies ist äquivalent dazu, dass für alle Folgen (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} aus \mathbb{N} mit x_{n}\in D und x_{n}>{\tilde x} sowie \lim _{{n\to \infty }}x_{n}={\tilde x} gilt
{f_{{+}}}'({\tilde x})=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}
Funktionen besitzen an einer Stelle in ihrem Definitionsbereich nur dann einen Grenzwert, wenn sowohl der linksseitige als auch der rechtsseitige Grenzwert an dieser Stelle existieren und beide Grenzwerte übereinstimmen. Diesen Satz können wir direkt auf Ableitungen anwenden:
Eine Funktion ist an einer Stelle in ihrem Definitionsbereich genau dann ableitbar, wenn dort sowohl die linksseitige als auch die rechtsseitige Ableitung existieren und beide Ableitungen übereinstimmen.

Beispiel

Wir haben bereits gezeigt, dass die Betragsfunktion f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} :x\mapsto |x| an der Stelle {\tilde x}=0 nicht differenzierbar ist. Jedoch können wir zeigen, dass die rechtsseitige Ableitung an dieser Stelle existiert und gleich 1 ist:
{\begin{aligned}{f_{{+}}}'(0)&=\lim _{{x\downarrow 0}}{\frac {f(x)-f(0)}{x-0}}=\lim _{{x\downarrow 0}}{\frac {|x|-|0|}{x}}\\[0.3em]&\ {\color {OliveGreen}\left\downarrow \ x>0\implies |x|=x\right.}\\[0.3em]&=\lim _{{x\downarrow 0}}{\frac {x-0}{x}}=\lim _{{x\downarrow 0}}1=1\end{aligned}}
Analog können wir zeigen, dass die linksseitige Ableitung an derselben Stelle gleich -1 ist:
{\begin{aligned}{f_{{-}}}'(0)&=\lim _{{x\uparrow 0}}{\frac {f(x)-f(0)}{x-0}}=\lim _{{x\uparrow 0}}{\frac {|x|-|0|}{x}}\\[0.3em]&\ {\color {OliveGreen}\left\downarrow \ x<0\implies |x|=-x\right.}\\[0.3em]&=\lim _{{x\uparrow 0}}{\frac {-x-0}{x}}=\lim _{{x\uparrow 0}}-1=-1\end{aligned}}
Weil die rechtsseitige und die linksseitige Ableitung nicht übereinstimmen, ist die Betragsfunktion an der Stelle {\tilde x}=0 nicht ableitbar. Sie besitzt dort zwar links- und rechtsseitige Ableitungen, aber keine Ableitung.

Differenzierbare Funktionen sind knickfrei

Im obigen Beispiel haben wir gesehen, dass die Betragsfunktion nicht differenzierbar ist. Dies liegt daran, dass die Betragsfunktion an der Stelle \xi =0 „einen Knick hat“, so dass die linksseitige und die rechtsseitige Ableitung verschieden ist. Wenn wir von links an \xi =0 gehen, ist die Ableitung gleich -1, während die Ableitung von der rechten Seite aus gleich 1 ist. Der Knick in der Betragsfunktion verhindert also die Differenzierbarkeit.
Wenn also eine Funktion einen Knick besitzt, ist sie an dieser Stelle nicht ableitbar. Sprich: Ableitbare Funktionen sind knickfrei. Man nennt sie deswegen auch glatte Funktionen . Dies heißt aber nicht, dass knickfreie Funktionen automatisch ableitbar sind. Betrachten wir als Gegenbeispiel die Vorzeichenfunktion \operatorname{sgn}(x) mit der Definition
\operatorname{sgn}(x)={\begin{cases}1&x>0\\0&x=0\\-1&x<0\end{cases}}
Ihr Graph ist
Graph der Vorzeichenfunktion (Aflafla1, Cronholm144, Incnis Mrsi, Mik: CC-BY-SA-3.0)
Diese ist an der Nullstelle {\tilde x}=0 nicht ableitbar, da dort wegen dem Sprung in der Funktion der Differenzenquotient gegen Unendlich konvergiert. Für die rechtsseitige Ableitung gilt beispielsweise:
\lim _{{h\downarrow 0}}{\frac {\operatorname{sgn}(h)-\operatorname{sgn}(0)}{h}}=\lim _{{h\downarrow 0}}{\frac {1-0}{h}}=\lim _{{h\downarrow 0}}{\frac {1}{h}}=\infty
Auch besitzt die Vorzeichenfunktion an der Nullstelle keinen Knick. Schließlich macht die Funktion dort einen Sprung und es wäre daher sinnlos dort von einem „Knick in der Funktion“ zu sprechen. Hierzu müsste die Funktion an der betrachteten Stelle stetig sein.
Am Beispiel der Vorzeichenfunktion sehen wir, dass Knickfreiheit und Ableitbarkeit nicht dasselbe sein kann. Knickfreiheit ist allerdings eine Voraussetzung für Ableitbarkeit. Folglich sind ableitbare Funktionen glatt (=knickfrei).

Zusammenhang zwischen Differenzierbarkeit, Stetigkeit und stetiger Differenzierbarkeit

Stetige Differenzierbarkeit einer Funktion f impliziert ihre Differenzierbarkeit, woraus wiederum ihre Stetigkeit folgt. Die Umkehrungen gelten im Allgemeinen nicht, wie wir im Laufe dieses Abschnitts sehen werden:
{\begin{aligned}&{\text{Stetige Differenzierbarkeit}}\\\implies {}&{\text{Differenzierbarkeit}}\\\implies {}&{\text{Stetigkeit}}\end{aligned}}
Die erste Implikation folgt direkt aus der Definition: Eine Funktion f heißt genau dann stetig differenzierbar, wenn sie differenzierbar ist und die Ableitungsfunktion f' stetig ist. Damit sind stetig differenzierbare Funktionen auch differenzierbar. Die zweite Implikation zeigen wir im Folgenden.

Jede differenzierbare Funktion ist stetig

Wir zeigen nun, dass jede an einer Stelle differenzierbare Funktion an dieser Stelle auch stetig ist. Damit ist Differenzierbarkeit eine stärkere Forderung an eine Funktion als Stetigkeit:
Satz:
Sei f:D\to \mathbb{R} mit D\subseteq \mathbb{R} eine Funktion, die an der Stelle {\tilde x}\in D differenzierbar ist. Dann ist f im Punkt {\tilde x} stetig. Damit gilt auch: Jede differenzierbare Funktion f ist stetig.
Beweis
Sei (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} eine beliebige Folge in D, die gegen {\tilde x} konvergiert. Da f in {\tilde x}\in D differenzierbar ist, gibt es eine Funktion \delta :D\to \mathbb{R} mit \lim _{{x\to {\tilde x}}}{\tfrac {\delta (x)}{x-{\tilde x}}}=0, so dass für alle x in D gilt
f(x)=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x)
Wir haben uns bereits überlegt, dass dann auch \lim _{{x\to {\tilde x}}}\delta (x)=0 gilt. Wegen \lim _{{n\to \infty }}{x_{n}}={\tilde x} muss also \lim _{{n\to \infty }}{\delta (x_{n})}=0 gelten. Insgesamt erhalten wir somit:
{\begin{aligned}&\lim _{{n\to \infty }}{f(x_{n})}\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ f(x)=f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x-{\tilde x})+\delta (x)\right.}\\[0.3em]=\ &\lim _{{n\to \infty }}{f({\tilde x})+f'({\tilde x})\cdot (x_{n}-{\tilde x})+\delta (x_{n})}\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ {\text{Limes auseinanderziehen}}\right.}\\[0.3em]=\ &\lim _{{n\to \infty }}\underbrace {f({\tilde x})}_{{\to f({\tilde x})}}+\lim _{{n\to \infty }}f'({\tilde x})\cdot \underbrace {(x_{n}-{\tilde x})}_{{\to 0}}+\lim _{{n\to \infty }}\underbrace {\delta (x_{n})}_{{\to 0}}\\[0.3em]=\ &f({\tilde x})+0+0\\[0.3em]=\ &f({\tilde x})\end{aligned}}
Den Limes durften wir hier auseinanderziehen, da die Grenzwerte \lim _{{n\to \infty }}{f({\tilde x})}=f({\tilde x}), \lim _{{n\to \infty }}{f'({\tilde x})\cdot (x_{n}-{\tilde x})}=0 und \lim _{{n\to \infty }}{\delta (x_{n})}=0 existieren. Nach dem Folgenkriterium für Stetigkeit gilt wegen \lim _{{n\to \infty }}{f(x_{n})}=f({\tilde x}), dass f an der Stelle {\tilde x} stetig ist.
Sei (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} eine Folge aus D, die gegen {\tilde x} konvergiert und deren Folgenglieder ungleich {\tilde x} sind. Es ist also \lim _{{n\to \infty }}(x_{n}-{\tilde x})=0 und x_{n}-{\tilde x}\neq 0 für alle n\in \mathbb{N} . Da f in {\tilde x}\in D differenzierbar ist, gilt f'({\tilde x})=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\tfrac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}}. Die Ableitung von f im Punkt {\tilde x} ist eine reelle Zahl. Dann gilt:
{\begin{aligned}&\lim _{{n\rightarrow \infty }}{f(x_{n})-f({\tilde x})}\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ \forall n\in \mathbb{N} :x_{n}-{\tilde x}\neq 0\right.}\\[0.3em]=\ &\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {(f(x_{n})-f({\tilde x}))\cdot (x_{n}-{\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}}\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ {\text{Limes auseinanderziehen}}\right.}\\[0.3em]=\ &\lim _{{n\rightarrow \infty }}\underbrace {{\frac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}}_{{\to f'({\tilde x})}}\cdot \lim _{{n\rightarrow \infty }}\underbrace {(x_{n}-{\tilde x})}_{{\to 0}}\ \\[0.3em]=\ &f'({\tilde x})\cdot 0\\[0.3em]=\ &0\end{aligned}}
Den Limes durften wir hier auseinanderziehen, da die Grenzwerte \lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\tfrac {f(x_{n})-f({\tilde x})}{x_{n}-{\tilde x}}}}=f'({\tilde x}) und \lim _{{n\rightarrow \infty }}{(x_{n}-{\tilde x})}=0 existieren. Damit ist \lim _{{n\to \infty }}f(x_{n})=f({\tilde x}) solange die Folge (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} maximal endlich oft den Wert {\tilde x} aufweist und x_{n}\to {\tilde x} geht.
Sei nun ({\hat x}_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} eine beliebige Folge aus D, die gegen {\tilde x} konvergiert und deren Folgenglieder unendlich oft gleich dem Wert {\tilde x} sind. Nun haben wir gezeigt, dass der Grenzwert der Teilfolge von ({\hat x}_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} mit Folgenglieder ungleich {\tilde x} gleich f({\tilde x}) ist. Auch die Teilfolge von Folgeglieder gleich {\tilde x} konvergiert als konstante Folge gegen f({\tilde x}). Somit kann man die Folge (f({\hat x}_{n}))_{{n\in \mathbb{N} }} in zwei Teilfolgen zerlegen, die beide gegen f({\tilde x}) konvergieren. Insgesamt ergibt sich so \lim _{{n\to \infty }}f({\hat x}_{n})=f({\tilde x}).
Für jede Folge ({\hat x}_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} aus D, die gegen {\tilde x} konvergiert, ist somit \lim _{{n\to \infty }}f({\hat x}_{n})=f({\tilde x}). Nach dem Folgenkriterium für Stetigkeit gilt dann, dass f an der Stelle {\tilde x} stetig ist.

Anwendung: Unstetige Funktionen sind nicht differenzierbar

Aus dem vorherigen Abschnitt wissen wir, dass jede differenzierbare Abbildung stetig ist. Also:
{\text{Differenzierbarkeit}}\implies {\text{Stetigkeit}}
Wenn wir auf diese Implikation das Prinzip der Kontraposition anwenden, dann folgt: Unstetige Funktionen sind nicht differenzierbar:
{\text{Unstetigkeit}}\implies {\text{Nichtdifferenzierbarkeit}}

Beispiel: Unstetige Funktionen sind nicht differenzierbar

Nehmen wir als Beispiel die Vorzeichenfunktion
\operatorname{sgn} :\mathbb{R} \to \mathbb{R} :x\mapsto f(x)={\begin{cases}1&x>0\\0&x=0\\-1&x<0\end{cases}}
Diese ist im Punkt {\tilde x}=0 nicht stetig. Also ist sie dort auch nicht differenzierbar. Nehmen wir die Folge x_{n}={\tfrac 1n}. Diese konvergiert gegen Null. Wenn die Vorzeichenfunktion differenzierbar wäre, dann müsste der Grenzwert \lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\tfrac {f(x_{n})-f(0)}{x_{n}-0}}} existieren. Jedoch ist
\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {f\left({\frac {1}{n}}\right)-f(0)}{{\frac {1}{n}}-0}}}=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{{\frac {1-0}{{\frac {1}{n}}-0}}}=\lim _{{n\rightarrow \infty }}{n}=\infty
Der Grenzwert existiert nicht in \mathbb{R} . Damit ist die Vorzeichenfunktion – wie erwartet – nicht differenzierbar im Punkt {\tilde x}=0.

Nicht jede differenzierbare Funktion ist stetig differenzierbar

Im folgenden Beispiel greifen wir Kenntnisse über Ableitungsregeln vor, die wir erst im nächsten Kapitel ausführlicher behandeln werden. Da jene allerdings meist schon aus der Schule bekannt sind, führen wir das Beispiel bereits jetzt vor:
Beispiel: Beispiel einer differenzierbaren, aber nicht stetig differenzierbaren Funktion
Beispiel
Wir werden zeigen, dass folgende Funktion überall differenzierbar ist, aber die Ableitungsfunktion nicht an jedem Punkt stetig ist:
f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} :x\mapsto f(x)={\begin{cases}x^{2}\cdot \sin \left({\frac {1}{x}}\right)&x\neq 0\\0&x=0\end{cases}}
Für {\tilde x}\neq 0 ist die Funktion nach der Produkt- und Kettenregel in jedem Punkt unendlich oft stetig differenzierbar. Wir werden nun die Differenzierbarkeit an der Stelle {\tilde x}=0 betrachten. Es gilt
f'(0)=\lim _{{h\to 0}}{\frac {h^{2}\sin \left({\frac {1}{h}}\right)-0}{h}}=\lim _{{h\to 0}}\underbrace {h}_{{\to 0}}\cdot \underbrace {\sin \left({\frac {1}{h}}\right)}_{{\in [-1,1]}}=0
Also ist f an der Stelle {\tilde x}=0 differenzierbar mit dem Ableitungswert f'(0)=0. Jedoch ist die Ableitungsfunktion f' an der Stelle {\tilde x}=0 nicht stetig. Um dies zu zeigen, müssen wir die Ableitungsfunktion ermitteln. Für {\tilde x}\neq 0 folgt aus der Produkt- und Kettenregel:
{\begin{aligned}f'({\tilde x})&=\left(x^{2}\cdot \sin \left({\frac {1}{x}}\right)\right)'\\[0.3em]&=2x\sin \left({\frac 1x}\right)+x^{2}\cos \left({\frac 1x}\right)\left(-{\frac {1}{x^{2}}}\right)\\[0.3em]&=2x\cdot \sin \left({\frac {1}{x}}\right)-\cos \left({\frac {1}{x}}\right)\end{aligned}}
Zusammen mit dem Ableitungswert f'(0)=0 erhalten wir somit die Ableitungsfunktion
f':\mathbb{R} \to \mathbb{R} :x\mapsto f'(x)={\begin{cases}2x\cdot \sin \left({\frac {1}{x}}\right)-\cos \left({\frac {1}{x}}\right)&x\neq 0\\0&x=0\end{cases}}
Um die Unstetigkeit von f' bei {\tilde x}=0 zu zeigen, verwenden wir die Folgendefinition von Stetigkeit. Sei dazu (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} die Folge mit x_{n}={\tfrac {1}{n\pi }}. Es gilt \lim _{{n\to \infty }}x_{n}=0. Wenn f' stetig wäre, müsste nach dem Folgenkriterium \lim _{{n\to \infty }}f'(x_{n})=0=f'(0)=f'\left(\lim _{{n\to \infty }}x_{n}\right) gelten. Nun ist aber
{\begin{aligned}\lim _{{n\to \infty }}f'(x_{n})&=\lim _{{n\to \infty }}\left(2x_{n}\cdot \sin \left({\frac {1}{x_{n}}}\right)-\cos \left({\frac {1}{x_{n}}}\right)\right)\\[0.3em]&=\lim _{{n\to \infty }}\left(2{\frac {1}{n\pi }}\cdot \sin(n\pi )-\cos(n\pi )\right)\\[0.3em]&=\lim _{{n\to \infty }}\left(2{\frac {1}{n\pi }}\cdot 0-(-1)^{n}\right)\\[0.3em]&=\lim _{{n\to \infty }}-(-1)^{n}\end{aligned}}
Der Grenzwert \lim _{{n\to \infty }}(-1)^{n} existiert nicht, denn die Folge \left((-1)^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} besitzt die beiden Häufungspunkte 1 und -1. Damit folgt, dass f' an der Stelle {\tilde x}=0 nicht stetig ist. f ist somit zwar differenzierbar, aber nicht stetig differenzierbar.

Übungsaufgaben

Hyperbelfunktion

Übung: Hyperbelfunktion ist an der Stelle 2 ableitbar
Zeige, dass die Hyperbelfunktion g:\mathbb{R} \setminus \{0\},\ g(x)={\tfrac 1x} an der Stelle \xi =2 differenzierbar ist, und berechne dort die Ableitung. Wie lautet die Ableitung von g an einer beliebigen Stelle {\tilde x}\in \mathbb{R} \setminus \{0\}?
Hier lautet der Differentialquotient an der Stelle \xi =2:
{\begin{aligned}g'(2)&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {g(2+h)-g(2)}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {{\frac {1}{2+h}}-{\frac {1}{2}}}{h}}\\[0.3em]&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {{\frac {2-(2+h)}{2\cdot (2+h)}}}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {-h}{2h(h+2)}}\\[0.3em]&=\lim _{{h\to 0}}{{\frac {-1}{2h+4}}}={\frac {-1}{0+4}}=-{\frac 14}\end{aligned}}
Also ist g an der Stelle \xi =2 mit der Ableitung g'(2)=-{\tfrac 14} differenzierbar. Für ein allgemeines {\tilde x}\in \mathbb{R} \setminus \{0\} gilt
{\begin{aligned}g'({\tilde x})&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {g({\tilde x}+h)-g({\tilde x})}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {{\frac {1}{{\tilde x}+h}}-{\frac {1}{{\tilde x}}}}{h}}\\[0.3em]&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {{\frac {{\tilde x}-({\tilde x}+h)}{{\tilde x}\cdot ({\tilde x}+h)}}}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {-h}{{\tilde x}h(h+{\tilde x})}}\\[0.3em]&=\lim _{{h\to 0}}{{\frac {-1}{{\tilde x}h+{\tilde x}^{2}}}}={\frac {-1}{0+{\tilde x}^{2}}}=-{\frac {1}{{\tilde x}^{2}}}\end{aligned}}

Wurzelfunktion

Übung: Wurzelfunktion ist im Nullpunkt nicht differenzierbar
Zeige, dass die Wurzelfunktion
g:\mathbb{R} _{0}^{+}\to \mathbb{R} ,\ g(x)={\sqrt {x}}
in \xi =0 nicht differenzierbar ist.
Wir müssen zeigen, dass der Differentialquotient von g in 0 nicht existiert. Dieser lautet
\lim _{{x\to 0+}}{\frac {g(x)-g(0)}{x-0}}=\lim _{{x\to 0+}}{\frac {{\sqrt {x}}-{\sqrt {0}}}{x-0}}=\lim _{{x\to 0+}}{\frac {{\sqrt {x}}}{x}}=\lim _{{x\to 0+}}{\frac {1}{{\sqrt {x}}}}
Wir wählen die positive Nullfolge (x_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}=\left({\tfrac {1}{n^{2}}}\right)_{{n\in \mathbb{N} }}. Für diese gilt
\lim _{{n\to \infty }}{\frac {g(x_{n})-g(0)}{x_{n}-0}}=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {1}{{\sqrt {x_{n}}}}}=\lim _{{n\to \infty }}{\frac {1}{{\sqrt {{\tfrac {1}{n^{2}}}}}}}=\lim _{{n\to \infty }}{\sqrt {n^{2}}}=\lim _{{n\to \infty }}n=\infty
Damit existiert kein Grenzwert des Differentialquotienten \lim _{{x\to 0+}}{\tfrac {g(x)-g(0)}{x-0}}. Die Funktion g ist daher in \xi =0 nicht differenzierbar.

Bestimmung von Grenzwerten

Bestimmung von Grenzwerten mit Differentialquotienten
Sei f:D\to \mathbb{R} in a\in D differenzierbar. Zeige die folgenden Grenzwerte
Übung 1:
\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(a-h)-f(a)}{h}}=-f'(a)
Übung 2:
\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(a+h)-f(a-h)}{2h}}=f'(a)
Übung 3:
Gilt auch die umgekehrte Aussage zum Grenzwert \lim _{{h\to 0}}{\tfrac {f(a+h)-f(a-h)}{h}}=f'(a): Existiert der Grenzwert \lim _{{h\to 0}}{\tfrac {f(a+h)-f(a-h)}{h}}, so ist f in a differenzierbar, und f'(a) ist gleich diesem Grenzwert.
Lösung: Lösung von Teilaufgabe 1:
Da f in a differenzierbar ist, gilt
\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(a+h)-f(a)}{h}}=f'(a)
Substituieren wir h=-{\tilde h}, so gilt h\to 0\iff {\tilde h}\to 0. Damit gilt
{\begin{aligned}\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(a-h)-f(a)}{h}}&{\overset {{\tilde h}=-h}{=}}\lim _{{{\tilde h}\to 0}}{\frac {f(a+{\tilde h})-f(a)}{-{\tilde h}}}\\[0.3em]&=-\lim _{{{\tilde h}\to 0}}{\frac {f(a+{\tilde h})-f(a)}{{\tilde h}}}=-f'(a)\end{aligned}}
Lösung von Teilaufgabe 2:
Hier gilt
{\begin{aligned}\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(a+h)-f(a-h)}{2h}}&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(a+h)-f(a)-(f(a-h)-f(a))}{2h}}\\[0.3em]&={\frac 12}\cdot \underbrace {\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(a+h)-f(a)}{h}}}_{{=f'(a)}}-{\frac 12}\cdot \underbrace {\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(a-h)-f(a)}{h}}}_{{=-f'(a)}}\\[0.3em]&={\frac 12}f'(a)+{\frac 12}f'(a)=f'(a)\end{aligned}}
Lösung von Teilaufgabe 3:
Die Umkehrung ist falsch. Wir betrachten dazu die Funktion f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} ,\ f(x)=|x| in a=0. Für diese existiert der Grenzwert
{\begin{aligned}\lim _{{h\to 0}}{\frac {f(0+h)-f(0-h)}{h}}&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {|h|-|-h|}{h}}\\[0.3em]&=\lim _{{h\to 0}}{\frac {|h|-|h|}{h}}=\lim _{{h\to 0}}{\frac {0}{h}}=0\end{aligned}}
Die Betragsfunktion ist jedoch an der Stelle Null nicht differenzierbar.

Kriterium für Differenzierbarkeit

Übung: Kriterium für Differenzierbarkeit einer allgemeinen Funktion in Null
Sei f:(-1,1)\to \mathbb{R} . Zeige: Gilt |f(x)|\leq |x|^{\alpha } für ein \alpha >1, so ist f in Null differenzierbar mit f'(0)=0.
Es gilt
0\leq |f(0)|\leq |0|^{\alpha }=0\implies f(0)=0
Damit ist dann wegen \alpha -1>0
0\leq \left|{\frac {f(x)-f(0)}{x-0}}\right|={\frac {|f(x)|}{|x|}}{\overset {|f(x)|\leq |x|^{\alpha }}{\leq }}{\frac {|x|^{\alpha }}{|x|}}=|x|^{{\alpha -1}}{\overset {x\to 0}{\longrightarrow }}0
Mit dem Einschnürungssatz folgt daher
f'(0)=\lim _{{x\to 0}}{\frac {f(x)-f(0)}{x-0}}=0