In diesem Kapitel werden wir mit der absoluten Konvergenz eine neue und stärkere Art der Konvergenz kennenlernen, welche auch bei einer beliebigen Umsortierung der Summanden ihr Konvergenzverhalten nicht ändert, was wir in einem späteren Kapitel genauer betrachten werden.

Motivation

Bei endlichen Summen ist es egal, in welcher Reihenfolge man die Summanden aufschreibt. Beispielsweise ist das Ergebnis von
1+2+3+4+5+6+7+8+9+10
dasselbe wie von
2+9+5+3+10+6+7+4+1+8
Dies gilt aufgrund der Kommutativität der Addition. Sie besagt, dass a+b=b+a für alle reellen Zahlen a,b\in \mathbb{R} ist. Wenn man endlich oft benachbarte Summanden vertauscht, ändert sich das Ergebnis nicht. Diese Invarianz bzw. „Unveränderlichkeit“ des Werts endlicher Summen gegenüber Summandenvertauschungen geht bei unendlichen Summen (also bei Reihen) verloren. Nehmen wir eine Reihe
a_{1}+a_{2}+a_{3}+a_{4}+\ldots
Der Wert dieser Reihe kann sich durch eine Umordnung der Summanden ändern. So kann der Wert der folgenden Reihe ein anderer sein, als bei der ursprünglichen Reihe:
a_{{42}}+a_{9}+a_{{1000}}+a_{{543}}+\ldots
Bei einer Umordnung der Summanden kann eine konvergente Reihe sogar divergent werden und umgekehrt. Es stellt sich die Frage: Wann können wir die Summanden einer Reihe beliebig umordnen, ohne dass ihr Grenzwert oder gar ihr Konvergenzverhalten geändert wird? Für konvergente Reihen über reelle Zahlen kann man diese Frage leicht beantworten:
Das Grenzwertverhalten einer reellwertigen und konvergenten Reihe ist genau dann immun gegen eine Umsortierung ihrer Summanden, wenn sie absolut konvergiert.

Definition

Was ist absolute Konvergenz?
Definition: absolute Konvergenz
Eine Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} konvergiert genau dann absolut, wenn \sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}| konvergiert.
Eine Reihe ist also genau dann absolut konvergent, wenn die Reihe ihrer Absolutbeträge konvergiert. Bei absolut konvergenten Reihen werden die Beträge ihrer Summanden so schnell klein, dass die Summe der Beträge beschränkt bleibt (und damit die Reihe konvergiert).
Hinweis:
Ist a_{k}\geq 0 für alle k\in \mathbb{N} , dann ist |a_{k}|=a_{k}. Die absolute Konvergenz einer Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} mit a_{k}\geq 0 ist damit gleichbedeutend mit der Konvergenz dieser Reihe.
Also: Eine Reihe mit ausschließlich nicht negativen Summanden konvergiert genau dann absolut, wenn sie konvergiert.

Jede absolut konvergente Reihe konvergiert error: TODO

Absolute Konvergenz ist eine stärkere Form der Konvergenz einer Reihe. Absolut konvergente Reihen sind genau die konvergenten Reihen, deren Konvergenzverhalten immun gegen eine Umsortierung der Summanden ist. Jede absolut konvergente Reihe konvergiert. Dies zeigen wir im folgenden Satz:
Satz: Absolute Konvergenz impliziert normale Konvergenz.
Jede absolut konvergente Reihe konvergiert.
Beweis
Sei \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} eine absolut konvergente Reihe. Das bedeutet \sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}| konvergiert. Wir betrachten nun die Reihen als Partialsummenfolgen. In diesem Beweis wollen wir Cauchy-Folgen anwenden. Wir zeigen, dass die Partialsummenfolge der Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} eine Cauchy-Folge ist. Sei dafür \epsilon >0. Da \sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}| konvergiert, ist die Partialsummenfolge \left(\sum _{{k=1}}^{n}|a_{k}|\right)_{{n\in \mathbb{N} }} eine Cauchy-Folge. Also gibt es ein N\in \mathbb{N} , sodass für alle m{\text{ und }}n>N{\text{ gilt }}\left|\sum _{{k=1}}^{n}|a_{k}|-\sum _{{k=1}}^{m}|a_{k}|\right|<\epsilon . Fassen wir die Summen zusammen und nehmen o.B.d.A. an, dass n>m, dann gilt
\sum _{{k=m+1}}^{n}|a_{k}|=\left|\sum _{{k=m+1}}^{n}|a_{k}|\right|=\left|\sum _{{k=1}}^{n}|a_{k}|-\sum _{{k=1}}^{m}|a_{k}|\right|<\epsilon
Nun schätzen wir die Partialsummen der Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} ab. Seien n>m>N, so folgt
{\begin{aligned}\left|\sum _{{k=1}}^{n}a_{k}-\sum _{{k=1}}^{m}a_{k}\right|&=\left|\sum _{{k=m+1}}^{n}a_{k}\right|\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow {\text{Dreiecksungleichung}}\right.}\\[0.3em]&\leq \sum _{{k=m+1}}^{n}|a_{k}|<\epsilon \end{aligned}}
Also ist \left(\sum _{{k=1}}^{n}a_{k}\right) eine Cauchy-Folge und konvergiert deshalb. Somit konvergiert auch \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}.
Alternativer Beweis: Beweis mit Cauchy-Kriterium für Reihen
Beweis
Wir können den Beweis von oben auch kürzer formulieren, indem wir das error: internal links not implemented, yet! benutzen. Sei \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} eine Reihe, die absolut konvergiert. Wir wissen also, dass \sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}| konvergiert. Wir wenden auf \sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}| das error: internal links not implemented, yet! an. So erhalten wir
\forall \epsilon >0\,\exists N\in \mathbb{N} \,\forall n\geq m\geq N:\sum _{{k=m}}^{n}|a_{k}|<\epsilon
Nun folgt aus der Dreiecksungleichung, dass \left|\sum _{{k=m}}^{n}a_{k}\right|\leq \sum _{{k=m}}^{n}|a_{k}| ist. Wenn also \sum _{{k=m}}^{n}|a_{k}| kleiner als \epsilon ist, dann muss auch \left|\sum _{{k=m}}^{n}a_{k}\right| kleiner als \epsilon sein. Dementsprechend folgt
\forall \epsilon >0\,\exists N\in \mathbb{N} \,\forall n\geq m\geq N:\left|\sum _{{k=m}}^{n}a_{k}\right|<\epsilon
Dies ist aber genau das Cauchy-Kriterium dafür, dass \sum _{{k=m}}^{n}a_{k} konvergiert. Also muss\sum _{{k=m}}^{n}a_{k} konvergent sein.
Hinweis:
Aus dem Beweis folgt insbesondere \left|\sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}\right|\leq \sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}|, falls die Reihe absolut konvergiert. Es ist nämlich im Fall der absoluten Konvergenz:
{\begin{aligned}\left|\sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}\right|&=\left|\lim _{{n\to \infty }}\sum _{{k=1}}^{n}a_{k}\right|\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \lim _{{n\to \infty }}|c_{n}|=\left|\lim _{{n\to \infty }}c_{n}\right|\right.}\\[0.3em]&=\lim _{{n\to \infty }}\left|\sum _{{k=1}}^{n}a_{k}\right|\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow (\forall n:c_{n}\leq d_{n})\implies \lim _{{n\to \infty }}c_{n}\leq \lim _{{n\to \infty }}d_{n}\right.}\\[0.3em]&\leq \lim _{{n\to \infty }}\sum _{{k=1}}^{n}|a_{k}|\\[0.3em]&=\sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}|\end{aligned}}

Nicht jede konvergente Reihe ist absolut konvergent

Wir haben gerade bewiesen, dass jede absolut konvergente Reihe eine konvergente Reihe ist. Die Umkehrung gilt aber nicht: Es gibt konvergente Reihen, die nicht absolut konvergieren. Ein Beispiel ist die alternierende Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }(-1)^{k}{\frac 1k}. Diese Reihe konvergiert, was man mit dem error: internal links not implemented, yet! beweisen kann. Jedoch ist diese Reihe nicht absolut konvergent, da \sum _{{k=1}}\left|(-1)^{k}{\frac 1k}\right|=\sum _{{k=1}}^{\infty }{\frac 1k} die divergente harmonische Reihe ist. Merken wir uns also:
Jede absolut konvergente Reihe konvergiert, aber nicht jede konvergente Reihe konvergiert absolut.

Charakteristisches Kriterium für absolute Konvergenz error: TODO

Nun möchten wir ein notwendiges und hinreichendes Kriterium für absolute Konvergenz untersuchen. Jede Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} lässt sich in ihre positiven und negativen Reihenglieder zerlegen. Formal definieren wir dazu
a_{k}^{{+}}={\begin{cases}a_{k}&a_{k}>0\\0&a_{k}\leq 0\end{cases}}
und
a_{k}^{{-}}={\begin{cases}0&a_{k}\geq 0\\a_{k}&a_{k}<0\end{cases}}
Ist beispielsweise a_{k}=(-1)^{{k+1}}{\tfrac {1}{k^{2}}}, so ist
a_{k}^{{+}}={\begin{cases}{\frac {1}{k^{2}}}&k{\text{ ungerade}}\\0&k{\text{ gerade}}\end{cases}}
und
a_{k}^{{-}}={\begin{cases}0&k{\text{ ungerade}}\\-{\tfrac {1}{k^{2}}}&k{\text{ gerade}}\end{cases}}
Es gilt a_{k}=a_{k}^{{+}}+a_{k}^{{-}} und damit \left(\sum _{{k=1}}^{n}a_{k}\right)_{{n\in \mathbb{N} }}=\left(\sum _{{k=1}}^{n}(a_{k}^{{+}}+a_{k}^{{-}})\right)_{{n\in \mathbb{N} }}. Die Frage ist nun, wann die beiden Reihen \left(\sum _{{k=1}}^{n}a_{k}^{{+}}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} und \left(\sum _{{k=1}}^{n}a_{k}^{{-}}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} konvergieren. Dann folgt auch \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}=\sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{+}+\sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{-}. Im folgenden Satz zeigen wir, dass die beiden Reihen genau dann konvergieren, wenn die ursprüngliche Reihe absolut konvergiert.
Satz: Kriterium für absolute Konvergenz
Die Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} konvergiert genau dann absolut, wenn \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{+} und \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{-} konvergieren. In diesem Fall gilt \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}=\sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{+}+\sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{-}.
Beweis
Beweisschritt: Wenn \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} absolut konvergiert, dann konvergieren auch \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{{+}} und \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{{-}}.
Sei \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} absolut konvergent. Es konvergiert damit \sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}|. Es gilt sowohl |a_{k}^{{+}}|\leq |a_{k}| als auch |a_{k}^{{-}}|\leq |a_{k}|. Nach dem error: internal links not implemented, yet! konvergieren \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{{+}} und \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{{-}} absolut. Damit konvergieren sie auch im gewöhnlichen Sinn.
Beweisschritt: Wenn \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{{+}} und \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{{-}} konvergieren, dann konvergiert \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} absolut.
Seien \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{+} und \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{-} konvergent. Es gilt |a_{k}|=a_{k}^{+}-a_{k}^{-}, und damit folgt aus den error: internal links not implemented, yet! \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{+}-\sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{-}=\sum _{{k=1}}^{\infty }(a_{k}^{+}-a_{k}^{-})=\sum _{{k=1}}^{\infty }|a_{k}|.
Beispiel: Absolut konvergente Reihe
BeispielDie Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }{\tfrac {(-1)^{{k+1}}}{k^{2}}} konvergiert absolut. Dies gilt, da \sum _{{k=1}}^{\infty }\left|{\tfrac {(-1)^{{k+1}}}{k^{2}}}\right|=\sum _{{k=1}}^{\infty }{\tfrac {1}{k^{2}}} konvergiert. Wir zeigen das im Kapitel error: internal links not implemented, yet! . Nach dem Kriterium für absolute Konvergenz konvergieren auch \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{+}=\sum _{{k=1}}^{\infty }{\tfrac {1}{(2k-1)^{2}}} und \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{-}=\sum _{{k=1}}^{\infty }-{\tfrac {1}{(2k)^{2}}}. Umgekehrt folgt aus der Konvergenz der Reihen \sum _{{k=1}}^{\infty }{\tfrac {1}{(2k-1)^{2}}} und \sum _{{k=1}}^{\infty }-{\tfrac {1}{(2k)^{2}}} die absolute Konvergenz der Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }{\tfrac {(-1)^{{k+1}}}{k^{2}}}.
Verständnisfrage: Konvergieren \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{{+}} und \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{{-}} auch dann immer, wenn \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k} „nur“ normal konvergiert (also nicht absolut konvergiert)?
Nein, gewöhnliche Konvergenz reicht nicht aus. Betrachte die alternierende harmonische Reihe \sum _{{k=1}}^{\infty }(-1)^{{k+1}}{\tfrac {1}{k}}. Diese konvergiert, aber \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{+}=\sum _{{k=1}}^{\infty }{\tfrac {1}{2k-1}} und \sum _{{k=1}}^{\infty }a_{k}^{-}=\sum _{{k=1}}^{\infty }-{\tfrac {1}{2k}} divergieren.

Vertiefung: Bedingte und unbedingte Konvergenz

Du kannst dir vorstellen, dass es in gewissen Situationen wichtig ist zu wissen, welche konvergenten Reihen durch eine Umordnung der Summanden ihr Konvergenzverhalten und ihren Grenzwert behalten und bei welchen dies nicht zwangsläufig der Fall ist. Für einige Beweise ist es notwendig, eine Reihe umzuordnen. Für solche Beweise muss man wissen, wann eine Reihe ohne Bedenken umgeordnet werden kann und wann man vorsichtig sein muss. Hierzu unterscheidet die Mathematik folgende zwei Arten der Konvergenz:
Unbedingte Konvergenz
Eine Reihe konvergiert unbedingt, wenn diese Reihe konvergiert und auch jede Umordnung dieser Reihe gegen denselben Grenzwert konvergiert.
Bedingte Konvergenz
Eine Reihe konvergiert bedingt, wenn die Reihe konvergiert und es mindestens eine Umordnung der Reihe gibt, bei der diese Reihe divergiert oder gegen einen anderen Grenzwert konvergiert.
Für reellwertige Reihen sind die unbedingt konvergenten Reihen genau die Reihen, die absolut konvergieren. Nun wird dir vielleicht schon aufgefallen sein, dass wir bisher nur behauptet, aber noch nicht bewiesen haben, dass absolut konvergente Reihen ihr Konvergenzverhalten bei Umordnung der Summanden nicht verändern. Weil der Beweis aber recht lang ist, möchten wir ihn an dieser Stelle nicht führen.