Bisher haben wir vor allem die Konvergenz von Folgen untersucht. In diesem Kapitel werden wir uns mit divergenten Folgen beschäftigen. Hier können nämlich zwei Arten der Divergenz unterschieden werden: Bestimmte und unbestimmte Divergenz.

Motivation

Wenn wir uns divergente Folgen anschauen, dann gibt es Folgen wie a_{n}=n, b_{n}=2^{n} und c_{n}=-n+2\cdot (-1)^{n}, die ein eindeutiges Streben gegen +\infty oder -\infty aufweisen:
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Bei solchen Folgen werden wir sagen, dass sie bestimmt gegen +\infty beziehungsweise gegen -\infty divergieren. Demgegenüber gibt es bei Folgen wie d_{n}=(-1)^{n} oder e_{n}=(-1)^{n}\cdot n kein solches eindeutiges Streben. Die Folge d_{n}=(-1)^{n} ist beschränkt und kann deswegen weder gegen +\infty noch gegen -\infty divergieren.
Die Folge e_{n}=(-1)^{n}\cdot n ist zwar unbeschränkt, ihr Streben ist aber nicht eindeutig. Diese Folge besitzt nämlich Teilfolgen, die gegen +\infty streben, und andere Teilfolgen, die gegen -\infty streben:
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Definition

Wir haben gesehen, dass die bestimmte Divergenz das eindeutige Streben einer Folgen gegen +\infty oder gegen -\infty ist. Wie kann dies mathematisch formuliert werden?
Beginnen wir mit der bestimmten Divergenz gegen +\infty : Wenn eine Folge gegen +\infty strebt, dann wird diese Folge größer als jede Zahl – egal wie groß sie ist. Mehr noch: Egal wie groß man eine Zahl S annimmt, fast alle Folgenglieder dieser Folge liegen über dieser Zahl. Es existiert also ein Index N, ab dem alle folgenden Folgenglieder größer gleich S sind. Damit wird die Zahl S ab dem Index N nicht mehr unterschritten. Dies ist dann auch die Definition der bestimmten Divergenz gegen +\infty :
Definition: Bestimmte Divergenz gegen +\infty
Eine Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} divergiert bestimmt gegen +\infty , wenn für jede Zahl S\in \mathbb{R} fast alle Folgenglieder größer oder gleich S sind. Für alle reellen Zahlen S gibt es also einen Index N, sodass a_{n}\geq S für alle n\geq N ist:
\forall S\in \mathbb{R} \,\exists N\in \mathbb{N} \,\forall n\geq N:a_{n}\geq S
Wir können die Aussageform der bestimmten Divergenz gegen unendlich so übersetzen:
{\begin{array}{l}\underbrace {{\underset {}{}}\forall S\in \mathbb{R} }_{{{\text{Für jede reelle Zahl }}S}}\ \underbrace {{\underset {}{}}\exists N\in \mathbb{N} }_{{{\text{ existiert ein Mindestindex }}N,}}\ \underbrace {{\underset {}{}}\forall n\geq N:}_{{{\text{sodass für alle Indizes }}n\geq N}}\\[0.5em]\quad \quad \underbrace {{\underset {}{}}a_{n}\geq S}_{{{\text{ das Folgenglied }}a_{n}{\text{ größer gleich }}S{\text{ ist}}}}\end{array}}
Analog können wir die bestimmte Divergenz gegen -\infty definieren:
Definition: Bestimmte Divergenz gegen -\infty
Eine Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} divergiert bestimmt gegen -\infty , wenn für jede Zahl s\in \mathbb{R} fast alle Folgenglieder kleiner oder gleich s sind. Für alle reellen Zahlen s gibt es also einen Index N, sodass a_{n}\leq s für alle n\geq N ist:
\forall s\in \mathbb{R} \,\exists N\in \mathbb{N} \,\forall n\geq N:a_{n}\leq s

Schreibweise

Wenn eine Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} gegen +\infty bestimmt divergiert, dann schreiben wir
\lim _{{n\to \infty }}a_{n}=+\infty
Analog benutzen wir folgende Schreibweise, wenn eine Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} gegen -\infty bestimmt divergiert:
\lim _{{n\to \infty }}a_{n}=-\infty

Beispiele

Beispiel:
Beispiel
{\begin{aligned}\lim _{{n\to \infty }}n&=+\infty \\[0.5em]\lim _{{n\to \infty }}n^{2}&=+\infty \\[0.5em]\lim _{{n\to \infty }}-n&=-\infty \end{aligned}}
Beispiel: Geometrische Folge
BeispielWie wir im Kapitel error: internal links not implemented, yet! schon gesehen haben, divergiert die geometrische Folge \left(q^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} für |q|>1. In diesem Kapitel haben wir gezeigt, dass für q>1 und für jede relle Zahl S die Ungleichung q^{n}>S für fast alle n\in \mathbb{N} erfüllt ist. Also ist \lim _{{n\to \infty }}q^{n}=\infty für q>1. Ist hingegen q\leq -1, so liegt keine bestimmte Divergenz vor. Für gerade n ist dann nämlich q^{n} positiv und für ungerade n ist es negativ. Damit kann die geometrische Folge \left(q^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} für q\leq -1 nicht bestimmt divergieren.

Bestimmte Divergenz als uneigentliche Konvergenz

Die Schreibweise \lim _{{n\to \infty }}a_{n}=+\infty suggeriert, dass die Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} gegen unendlich konvergiert. Hier liegt aber eine Divergenz und keine Konvergenz vor! Das Symbol +\infty ist nämlich keine reelle Zahl. Konvergente Folgen dürfen per Definition aber nur reelle Zahlen als Grenzwerte besitzen. Es gibt allerdings Parallelen zwischen der Konvergenz und der bestimmten Divergenz:
Konvergenz
Bestimmte Divergenz
In jeder \epsilon -Umgebung liegen fast alle Folgenglieder.
In jedem Intervall [S,\infty ) liegen fast alle Folgenglieder.
Alle Teilfolgen konvergieren gegen denselben Grenzwert.
Auch alle Teilfolgen divergieren bestimmt gegen \pm \infty .
Jede konvergente Folge ist beschränkt.
Jede bestimmt divergente Folge ist unbeschränkt.
Dementsprechend gibt es für bestimmte Divergenz auch den Begriff der uneigentlichen Konvergenz. Das Wort „uneigentliche Konvergenz“ deutet darauf hin, dass die bestimmte Divergenz gewisse Ähnlichkeiten zur Konvergenz aufweist. Sie ist aber in ihrem Wesen eine Divergenz.
Warnung:
Es ist wichtig, dass wir uns merken, dass die bestimmte Divergenz eine Art der Divergenz ist, obwohl sie der Konvergenz ähnelt und wir sie als uneigentliche Konvergenz bezeichnen. Wir dürfen also auf bestimmt divergente Folgen keine Rechenregeln anwenden, die nur für konvergente Folgen gelten. Ein Beispiel ist die Produktregel \lim _{{n\to \infty }}(a_{n}\cdot b_{n})=\lim _{{n\to \infty }}a_{n}\cdot \lim _{{n\to \infty }}b_{n}. Diese Regel gilt für bestimmt divergente Folgen nicht, wie die folgende Umformung zeigt:
1=\lim _{{n\to \infty }}\left(n\cdot {\frac 1n}\right)=\lim _{{n\to \infty }}n\cdot \lim _{{n\to \infty }}{\frac 1n}=\infty \cdot 0=0
Man erhält also die falsche Aussage 1=0, wenn man die Produktregel auf bestimmt divergente Folgen anwendet. Wir müssen also vorsichtig sein, welche Rechenregeln wir auf bestimmt divergente Folgen anwenden. Welche Rechenregeln es für die bestimmte Divergenz gibt, werden wir im Artikel error: internal links not implemented, yet! sehen.