Die Lipschitz-Stetigkeit ist eine Verschärfung der Stetigkeit. Sie ist noch strenger als die gleichmäßige Stetigkeit und wird in der Theorie der Differentialgleichungen häufig verwendet.

Herleitung

Wir werden mit der Definition der Lipschitz-Stetigkeit noch einen weiteren Stetigkeitsbegriff kennenlernen, der uns Genaueres über das Änderungsverhalten einer Funktion verrät. Bekanntlich führen bei stetigen Funktionen hinreichend kleine Änderungen des Arguments zu beliebig kleinen Änderungen des Funktionswerts. Bei Lipschitz-stetigen Funktionen ist es darüber hinaus möglich, den Betrag der Änderung der Funktion abzuschätzen. Es kann also eine Aussage darüber getroffen werden, wie „schnell“ die Abweichungen der Funktionswerte klein werden. Um das besser zu verstehen, betrachten wir zunächst, was mit der Änderung einer Funktion gemeint ist. Sei hierzu f:D\to \mathbb{R} eine beliebige Funktion mit dem Definitionsbereich D.
Nehmen wir zwei beliebige Punkte {\tilde x} und x aus dem Definitionsbereich einer Funktion f und legen wir eine Gerade durch die beiden zugehörigen Funktionswerte f({\tilde x}) und f(x). Anschaulich ist klar, dass die Gerade umso steiler verlaufen muss, je größer die Differenz von f({\tilde x}) und f(x) ist. Die durchschnittliche Änderung zwischen zwei Funktionswerten entspricht der Steigung {\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} der durch die beiden Punkte verlaufenden Sekanten und kann wie gewohnt mit einem Steigungsdreieck berechnet werden:
Steigungsdreieck zum Bestimmen der Sekantensteigung (Stephan Kulla, Alexander Sedlmayr: CC BY-SA 4.0)
Nehmen wir nun an, die Änderung einer Funktion ist beschränkt, d. h. die Steigungen der Sekanten werden nicht beliebig groß oder klein. Der Betrag \left|{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\right| besitzt also eine obere Schranke. Durch die Betragsstriche werden sowohl positive als auch negative Steigungen beschränkt. Es gibt also ein L\in \mathbb{R} , sodass für alle {\tilde x},x\in D mit x\neq {\tilde x} die Ungleichung \left|{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\right|\leq L gilt: . Diese Zahl L wird auch Lipschitz-Konstante genannt. Umstellen der Gleichung durch Multiplikation mit |x-{\tilde x}| liefert:
{\begin{aligned}&&\left|{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\right|&\leq L\\[0.3em]&\iff &\left|f(x)-f({\tilde x})\right|&\leq L|x-{\tilde x}|\end{aligned}}
Diese Ungleichung \left|f(x)-f({\tilde x})\right|\leq L|x-{\tilde x}| wird für die Definition der Lipschitz-Stetigkeit herangezogen. Wenn ein L diese Ungleichung für alle x,{\tilde x}\in R erfüllt, so ist die Änderung der Funktion betragsmäßig beschränkt. Der Vorteil der Ungleichung \left|f(x)-f({\tilde x})\right|\leq L|x-{\tilde x}| ist, dass sie auch für x={\tilde x} erfüllt ist. So kann in der Definition die Bedingung x\neq {\tilde x} wegfallen, welche für die Steigung {\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} benötigt wird.

Definition

Definition: Lipschitz-Stetigkeit
Sei D\subseteq \mathbb{R} eine Teilmenge von \mathbb{R} und sei f:D\rightarrow \mathbb{R} eine Funktion. Dann heißt genau dann f Lipschitz-stetig auf D, wenn ein L\geq 0 existiert, so dass |f(x)-f({\tilde {x}})|\leq L\cdot |x-{\tilde {x}}| für alle x,{\tilde {x}}\in D gilt.
Diese Definition kann auch in Quantorenschreibweise ausgedrückt werden:
{\begin{array}{cc}&f:D\rightarrow \mathbb{R} {\text{ ist Lipschitz-stetig }}\\[1em]\iff &\exists L\geq 0\,\forall x,{\tilde {x}}\in D:|f(x)-f({\tilde {x}})|\leq L\cdot |x-{\tilde {x}}|\end{array}}
Die rechte Seite der obigen Äquivalenz kann dabei folgendermaßen übersetzt werden:
\underbrace {\exists L\geq 0}_{{{\text{Es gibt ein }}L\geq 0}}\underbrace {\forall x,{\tilde {x}}\in D:}_{{{\text{, so dass für alle }}x,{\tilde x}{\text{ gilt: }}}}\underbrace {|f(x)-f({\tilde {x}})|\leq L\cdot |x-{\tilde {x}}|}_{{|f(x)-f({\tilde {x}})|{\text{ ist kleiner als }}L\cdot |x-{\tilde {x}}|}}

Was bringt Lipschitz-Stetigkeit?

Die Lipschitz-Konstante einer Lipschitz-stetigen Funktion gibt uns eine obere Schranke für das Änderungsverhalten der Funktion. Das ist hilfreich bei der Abschätzung von Funktionswerten.
Nehmen wir an, wir haben einen Punkt x\in D aus dem Definitionsbereich und den dazugehörigen Funktionswert f(x) gegeben. Wir wollen mithilfe dieser Information nun zu einem anderen Punkt y\in D die Lage des dazugehörigen Funktionswerts f(y) eingrenzen. Das erreichen wir, indem wir f(y) aus der durch die Lipschitzkonstante gegebenen maximalen Änderung zwischen zwei Funktionswerten nach oben und nach unten abschätzen. Wegen der Lipschitzstetigkeit gilt
\left|f(y)-f(x)\right|\leq L\left|y-x\right|\iff -L\left|y-x\right|\leq f(y)-f(x)\leq L\left|y-x\right|
Daraus folgt durch Addition von f(x) die Abschätzung:
f(x)-L|y-x|\leq f(y)\leq f(x)+L|y-x|
So haben wir eine Abschätzung, wo sich der Wert f(y) befindet.

Visualisierung

Visualisierung über Kegel

Visualisieren wir die Lipschitz-Bedingung: Wir zeichnen für eine Lipschitz-stetige Funktion f:D\to \mathbb{R} durch den Funktionswert ({\tilde x},f({\tilde x})) die Geraden g_{1} und g_{2}, die durch diesen Punkt verlaufen und die Steigung L bzw. -L haben. Oben haben wir gesehen, dass die Lipschitz-Bedingung {\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\leq L bedeutet, dass die Steigung aller beliebigen Sekanten durch den Punkt ({\tilde x},f({\tilde x})) beschränkt ist. Das heißt, dass der Graph der Funktion zwischen diesen zwei Geraden verlaufen muss:
Visualisierung Lipschitz (Alexander Sedlmayr: CC0)
Diese Beschränkung der Funktion gilt für jedes beliebige {\tilde x} im Definitionsbereich. In unserem Bild können wir die zwei Geraden den Graphen entlang „verschieben“ und der Graph von f liegt immer im Bereich zwischen den zwei Geraden:
Lipschitz Animation (Alexander Sedlmayr: CC0)
Falls die Funktion differenzierbar ist, so entspricht die Ableitung der Funktion in einem Punkt der Steigung der Tangenten in diesem Punkt. Aus dieser Visualisierung sieht man, dass die Ableitung einer Lipschitz-stetigen Funktion nicht größer werden kann als L, bzw. nicht kleiner als -L, und somit der Betrag der Ableitung dieser Funktion beschränkt ist.

Unterschied zur gleichmäßigen Stetigkeit

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Ebenso wie die Lipschitz-Stetigkeit ist auch die gleichmäßige Stetigkeit eine globale Eigenschaft. Anders als die Lipschitz-Stetigkeit macht die gleichmäßige Stetigkeit aber keine Aussage über das Änderungsverhalten einer Funktion. Das ist ein Nachteil, wenn etwa die Lage eines Funktionswertes f(y) anhand eines Funktionswertes f(x) abgeschätzt werden soll.
Bei der Lipschitz-Stetigkeit herrscht ein linearer Zusammenhang zwischen dem Abstand y-x und der größtmöglichen Differenz f(y)-f(x). Das ist bei der gleichmäßigen Stetigkeit nicht der Fall, denn die Beschränkung \left|f(y)-f(x)\right|\leq \epsilon der Funktionswerte ist für alle x,y mit \left|y-x\right|\leq \delta dieselbe. Somit liefern die mit zunehmender Nähe zu x schmaler werdenden Kegel eine genauere Abschätzung als das „\epsilon -\delta -Rechteck“ der gleichmäßigen Stetigkeit. Zwar kann man \epsilon beliebig klein wählen, um die Lage von f(y) genauer einzugrenzen. Allerdings kann es sein, dass dann auch \delta sehr klein werden muss, damit die Funktion das Rechteck nicht verlässt. Dies ist beispielsweise bei der Wurzelfunktion an der Stelle x=0 der Fall.

Zusammenhang mit gleichmäßiger Stetigkeit

Wie hängt dieser neue Begriff der Lipschitz-Stetigkeit nun mit den vorherigen Begriffen der Stetigkeit und der gleichmäßigen Stetigkeit zusammen? Es stellt sich heraus, dass Lipschitz-Stetigkeit stärker ist als gleichmäßige Stetigkeit: Jede Lipschitz-stetige Funktion ist gleichmäßig stetig, aber nicht jede gleichmäßig stetige Funktion ist auch Lipschitz-stetig.

Lipschitz-stetige Funktionen sind gleichmäßig stetig

Satz: Lipschitz-Stetigkeit impliziert gleichmäßige Stetigkeit
Sei D\subseteq \mathbb{R} und f:D\rightarrow \mathbb{R} eine auf D Lipschitz-stetige Funktion. Dann ist f auch gleichmäßig stetig auf ihrem Definitionsbereich.
Beweis
Erinnern wir uns an die Definition der gleichmäßigen Stetigkeit: Eine Funktion f heißt gleichmäßig stetig, falls für alle \epsilon >0 ein \delta >0 existiert, so dass für alle x,y\in D mit |x-y|<\delta gilt, dass |f(x)-f(y)|<\epsilon ist.
Sei also \epsilon >0 beliebig vorgegeben. Wir müssen nun ein \delta >0 finden, so dass für alle Werte x,y\in D mit |x-y|<\delta der Abstand der Funktionswerte |f(x)-f(y)|<\epsilon erfüllt. Nach Voraussetzung ist f Lipschitz-stetig. Also existiert ein L\geq 0, so dass |f(x)-f(y)|\leq L\cdot |x-y| für alle x,y\in D.
Welchen Abstand dürfen die Werte x,y\in D haben, damit |f(x)-f(y)|<\epsilon erfüllt ist? Hierzu reicht es, den Abstand |x-y| kleiner als {\tfrac {\epsilon }{L}} zu wählen. Wir setzen also \delta ={\tfrac {\epsilon }{L}}. Hier ist jedoch etwas Vorsicht angebracht, denn die Lipschitz-Konstante L könnte Null sein. Deswegen nutzen wir eine Fallunterscheidung:
Fall 1:
L=0
Falls L=0, dann folgt aus der Lipschitz-Bedingung, dass |f(x)-f(y)|\leq 0 für alle x,y\in D erfüllt ist. Damit ist aber |f(x)-f(y)|=0 beziehungsweise f(x)=f(y) für alle x,y\in D. Somit ist die Funktion f konstant, und damit auch gleichmäßig stetig. Für ein beliebig vorgegebenes \epsilon >0 kann jedes \delta >0 gewählt werden.
Fall 2:
L\neq 0
Falls L\neq 0, so wähle \delta ={\tfrac {\epsilon }{L}}. Seien nun x,y\in D mit |x-y|\leq \delta . Dann folgt aus der Lipschitz-Stetigkeit:
{\begin{aligned}|f(x)-f(y)|&\leq L\cdot |x-y|<L\cdot \delta \\[0.5em]&=L\cdot {\frac {\epsilon }{L}}=\epsilon \end{aligned}}
In beiden Fällen erhalten wir die gleichmäßige Stetigkeit und der Satz ist bewiesen.

Nicht alle gleichmäßig stetigen Funktionen sind Lipschitz-stetig

Nun möchten wir uns noch überlegen, dass nicht alle gleichmäßig stetigen Funktionen Lipschitz-stetig sind. Dafür genügt es, ein Gegenbeispiel anzugeben, also eine Funktion, die zwar gleichmäßig stetig, aber nicht Lipschitz-stetig ist. Ein solches Gegenbeispiel liefert die Wurzelfunktion auf \mathbb{R} _{0}^{+}. Für diese ist bewiesen, dass sie gleichmäßig stetig ist. Jetzt zeigen wir noch, dass sie nicht Lipschitz-stetig ist. Betrachte also:
{\begin{aligned}f:\mathbb{R} _{0}^{+}&\to \mathbb{R} \\x&\mapsto {\sqrt {x}}\end{aligned}}
Angenommen, sie wäre Lipschitz-stetig. Dann würde ein L\geq 0 existieren, so dass für alle x,y\in \mathbb{R} _{0}^{+} gilt: |{\sqrt {x}}-{\sqrt {y}}|<L\cdot |x-y|. Damit würde dann für alle x,y\in \mathbb{R} _{0}^{+} mit x>0 oder y>0 folgen:
{\begin{aligned}&&|{\sqrt {x}}-{\sqrt {y}}|&<L\cdot |x-y|\\[0.3em]&\implies &{\frac {|{\sqrt {x}}-{\sqrt {y}}|\cdot |{\sqrt {x}}+{\sqrt {y}}|}{|{\sqrt {x}}+{\sqrt {y}}|}}&<L\cdot |x-y|\\[0.3em]&\implies &{\frac {1}{|{\sqrt {x}}+{\sqrt {y}}|}}\cdot |x-y|&<L\cdot |x-y|\\[0.3em]&\implies &{\frac {1}{|{\sqrt {x}}+{\sqrt {y}}|}}&<L\end{aligned}}
Wählt man aber zum Beispiel x={\frac {1}{4L^{2}}}>0 und y=0, so ist:
{\begin{aligned}{\frac {1}{|{\sqrt {x}}+{\sqrt {y}}|}}&={\frac {1}{{\frac {1}{{\sqrt {4L^{2}}}}}+0}}\\[0.5em]&={\frac {1}{{\frac {1}{2L}}}}=2L>L\end{aligned}}
Das liefert einen Widerspruch und somit ist f nicht Lipschitz-stetig auf \mathbb{R} _{0}^{+}.

Lipschitz-Stetigkeit impliziert Stetigkeit

Lipschitz-Stetigkeit impliziert Stetigkeit, was sich direkt aus dem vorherigen Abschnitt ergibt: Da Lipschitz-stetige Funktionen gleichmäßig stetig sind, sind sie insbesondere stetig. Das ist auch anschaulich klar, wenn wir uns überlegen, warum eine unstetige Funktion nicht Lipschitz-stetig sein kann:
Erinnern wir uns an die erste grobe Intuition zur Stetigkeit. Nach ihr sind stetige Funktionen solche Funktionen, die keine „Sprungstellen“ aufweisen:
Sprungstelle (Alexander Sedlmayr: CC BY-SA 4.0)
Die abgebildete Funktion ist offensichtlich unstetig in {\tilde x}=1. Stellen wir uns nun vor, wir legen eine Gerade durch den Punkt beim {\tilde x}-Wert der Sprungstelle des Graphen, und durch einen weiteren Punkt des Graphen bei x>{\tilde x}. Diese Gerade ist dann eine Sekante des Graphen.
Sekante an der Sprungstelle (Alexander Sedlmayr: CC BY-SA 4.0)
Lässt man nun den Schnittpunkt bei x von rechts immer näher an die Sprungstelle bei {\tilde x} wandern, dann wird diese Sekante immer steiler und die Steigung geht gegen unendlich. Insbesondere ist es unmöglich, ein L\in \mathbb{R} zu finden, das die Steigung der Sekanten beschränkt: Haben wir ein solches gewählt, rücken wir einfach von rechts noch ein Stückchen näher an die Sprungstelle heran und finden so früher oder später ein neues x, für welches die Sekantensteigung {\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}} größer als L ist.
Damit sind (intuitiv betrachtet) alle Funktionen mit Sprungstellen nicht Lipschitz-stetig. Wenn wir dies nach dem Prinzip der Kontraposition umkehren, so sind alle Lipschitz-stetigen Funktionen stetig. Funktionen, deren Steigung begrenzt ist und die damit Lipschitz-stetig sind, können keine Sprungstellen aufweisen:
Sekante einer Funktion ohne Sprungstelle (Alexander Sedlmayr: CC BY-SA 4.0)

Beispiele

Beispiel: Lipschitz-Stetigkeit der Identitätsfunktion
Beispiel
Die Identität f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} mit f(x)=x ist Lipschitz-stetig auf ganz \mathbb{R} mit Lipschitzkonstante L=1, denn es gilt für alle x,y\in \mathbb{R} :
|f(x)-f(y)|=|x-y|\leq 1\cdot |x-y|
Beispiel: Lipschitz-Stetigkeit der eingeschränkten Quadratfunktion
Beispiel
Betrachte die auf dem abgeschlossenen Intervall [a,b] definierte Funktion
{\begin{aligned}f:[a,b]&\to \mathbb{R} \\x&\mapsto x^{2}\end{aligned}}
Dabei ist a,b\in \mathbb{R} beliebig mit a<b. Diese ist ebenfalls Lipschitz-stetig, denn es gilt für alle x,y\in [a,b]:
{\begin{aligned}|f(x)-f(y)|&=|x^{2}-y^{2}|\\[0.3em]&=|(x+y)\cdot (x-y)|\\[0.3em]&=|x+y|\cdot |x-y|\\[0.3em]&\leq \left(\left|x\right|+\left|y\right|\right)\cdot \left|x-y\right|\\[0.3em]&\leq 2\cdot \max\{\left|x\right|,\left|y\right|\}\cdot \left|x-y\right|\\[0.3em]&\leq 2\cdot \max\{|a|,|b|\}\cdot |x-y|\end{aligned}}
Somit kann als Lipschitzkonstante L=2\cdot \max\{|a|,|b|\} gewählt werden.
Beispiel: Lipschitz-Unstetigkeit der Quadratfunktion
Beispiel
Betrachten wir die auf den ganzen reellen Zahlen definierte Quadratfunktion f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} mit f(x)=x^{2}. Diese ist nicht mehr Lipschitz-stetig. Angenommen, es gäbe eine Zahl L>0 mit |f(x)-f(y)|\leq L\cdot |x-y| für alle x,y\in \mathbb{R} . Zunächst ist:
{\begin{aligned}|f(x)-f(y)|&=|x^{2}-y^{2}|\\&=|(x+y)(x-y)|\\&=|x+y|\cdot |x-y|\end{aligned}}
Wegen |f(x)-f(y)|\leq L\cdot |x-y| müsste |x+y|\leq L für beliebige x,y\in \mathbb{R} gelten. Eine Lipschitz-Konstante L mit dieser Eigenschaft kann es nicht geben. So ist (nachdem man ein L gewählt hat) für x=0 und y=L+1 diese Ungleichung nicht erfüllt. Dieser Widerspruch zeigt, dass die Quadratfunktion f auf ganz \mathbb{R} nicht Lipschitz-stetig ist.

Aufgaben

Lineare Funktionen sind Lipschitz-stetig

Übung: Lineare Funktionen sind Lipschitz-stetig
Zeige, dass jede lineare Funktion f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} :x\mapsto a\cdot x+b mit a,b\in \mathbb{R} Lipschitz-stetig ist.
Seien x,y\in \mathbb{R} beliebig. Dann gilt:
{\begin{aligned}|f(x)-f(y)|&=|a\cdot x+b-(a\cdot y+b)|\\[0.3em]&=|a\cdot (x-y)|=|a|\cdot |x-y|\end{aligned}}
f ist also Lipschitz-stetig mit der Lipschitz-Konstanten L=|a|.

Quadratische Funktionen und Lipschitz-Stetigkeit

Übung: Quadratische Funktionen und Lipschitz-Stetigkeit
Zeige, dass jede quadratische Funktion f:\mathbb{R} \to \mathbb{R} mit f(x)=a\cdot x^{2}+b\cdot x+c für a,b,c\in \mathbb{R} und a\neq 0 auf dem abgeschlossenen Intervall [-2,2]\subseteq \mathbb{R} Lipschitz-stetig ist und auf ganz \mathbb{R} nicht Lipschitz-stetig ist.
Mit einer binomischen Formel bekommen wir:
{\begin{aligned}|f(x)-f(y)|&=|ax^{2}+bx+c-(ay^{2}+by+c)|\\[0.3em]&=|a(x^{2}-y^{2})+b(x-y)|\\[0.3em]&=|a(x+y)(x-y)+b(x-y)|\\[0.3em]&=|a(x+y)+b|\cdot |x-y|\end{aligned}}
Sei nun zuerst x,y\in [-2,2]. Dort gilt dann mit der Dreiecksungleichung:
{\begin{aligned}|f(x)-f(y)|&=|a(x+y)+b|\cdot |x-y|\\[0.3em]&\leq (|a(x+y)|+|b|)\cdot |x-y|\\[0.3em]&\leq (|a|\cdot |x+y|+|b|)\cdot |x-y|\\[0.3em]&\leq (|a|\cdot (|x|+|y|)+|b|)\cdot |x-y|\\[0.3em]&\leq (4|a|+|b|)\cdot |x-y|\end{aligned}}
Eine geeignete Lipschitz-Konstante ist damit gegeben durch L=(4|a|+|b|).
Dann sehen wir uns noch den Fall des Definitionsbereichs D=\mathbb{R} an. Angenommen, f wäre Lipschitz-stetig. Dann würde ein L\geq 0 mit |f(x)-f(y)|\leq L\cdot |x-y| für alle x,y\in \mathbb{R} existieren. Mit der obigen Rechnung folgt dann:
{\begin{aligned}|f(x)-f(y)|&=|a(x+y)+b|\cdot |x-y|\\[0.3em]&\leq L\cdot |x-y|\end{aligned}}
Also müsste |a(x+y)+b|\leq L für alle x,y\in \mathbb{R} gelten. Wählt man beispielsweise y=0 und x={\frac {L-b+1}{a}}\in \mathbb{R} , dann erhält man:
{\begin{aligned}|a(x+y)+b|&=\left|a\left({\frac {L-b+1}{a}}+0\right)+b\right|\\[0.3em]&=|L+1|>L\end{aligned}}
Das liefert uns einen Widerspruch zu der Aussage oben, also ist f auf \mathbb{R} nicht Lipschitz-stetig.

Lipschitz-Stetigkeit und die Hyperbelfunktion

Es sei f:(0,\infty )\to \mathbb{R} mit f(x)={\frac 1x}.
Übung 1:
Zeige, dass f|_{{[1,\infty )}} Lipschitz-stetig ist, und bestimme eine Lipschitzkonstante für diese Funktion.
Übung 2:
Untersuche, ob auch f|_{{(0,1]}} Lipschitzstetig ist.
Lösung: Lösung von Teilaufgabe 1:
Seien x,y\in [1,\infty ). Dann gilt:
{\begin{aligned}|f(x)-f(y)|&=\left|{\frac 1x}-{\frac 1y}\right|=\left|{\frac {y-x}{xy}}\right|\\[0.3em]&={\frac 1{xy}}\cdot |x-y|\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ x,y\geq 1\right.}\\[0.3em]&\leq 1\cdot |x-y|\end{aligned}}
f ist daher auf [1,\infty ) Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante L=1.
Lösung von Teilaufgabe 2:
Angenommen f|_{{(0,1]}} ist Lipschitzstetig, dann gibt es ein L\geq 0 mit |f(x)-f(y)|={\frac {1}{xy}}|x-y|\leq L|x-y| für alle x,y\in (0,1]. Für x\neq y ist dies äquivalent zu {\frac {1}{xy}}\leq L. Nun unterscheiden wir die Fälle L>{\frac 12} und L\leq {\frac 12}:
Fall 1:
L>{\frac 12}
Für x={\frac {1}{2L}}\in (0,1] und y=1 ist {\frac {1}{xy}}=2L>L. ↯
Fall 2:
L\leq {\frac 12}
Für x=2L\in (0,1] und y=1 erhalten wir den Widerspruch:
{\frac {1}{xy}}={\frac {1}{2L}}\ {\overset {L\leq {\frac 12}}{\geq }}\ {\frac {1}{2\cdot {\frac 12}}}=1>L

Praktisches Kriterium für Lipschitz-Stetigkeit: Der Schrankensatz

Wir werden später mit Hilfe des error: internal links not implemented, yet! ein praktisches Kriterium für die Lipschitz-Stetigkeit einer differenzierbaren Funktion herleiten, den error: internal links not implemented, yet! . Dieser lautet:
Satz: Schrankensatz (Lipschitz-Variante)
Sei f:[a,b]\to \mathbb{R} stetig und in (a,b) differenzierbar. Weiter sei die Ableitungsfunktion f':(a,b)\to \mathbb{R} beschränkt. Dann ist f Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante L=\sup _{{x\in (a,b)}}|f'(x)|. Insbesondere ist jedes auf [a,b] stetig-differenzierbare f Lipschitz-stetig.