Der Mittelwertsatz ist einer der zentralen Sätze der Differentialrechnung und besagt (grob gesprochen), dass die Steigung der Sekante zwischen zwei verschiedenen Punkten einer differenzierbaren Funktion irgendwo zwischen diesen beiden Punkten als Ableitung angenommen wird. So verknüpft der Mittelwertsatz die Sekantensteigung mit der Ableitung einer Funktion. Globale Eigenschaften, die mit Hilfe der Sekantensteigung ausgedrückt werden können, sind so mit Hilfe des Mittelwertsatzes auf Eigenschaften der Ableitung zurückführbar. Im Abschnitt error: internal links not implemented, yet! werden wir eine nützliche Anwendung untersuchen. Weitere folgen dann in den Kapiteln error: internal links not implemented, yet! , error: internal links not implemented, yet! und error: internal links not implemented, yet! . Auch der Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung basiert auf dem Mittelwertsatz.

Motivation

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Wir haben uns bereits mit dem error: internal links not implemented, yet! beschäftigt. Zur Wiederholung: Der Satz von Rolle besagt, dass es für jede stetige Funktion f:[a,b]\to \mathbb{R} , die in (a,b) differenzierbar ist und für die f(a)=f(b) gilt, ein Argument \xi \in (a,b) geben muss, welches f'(\xi )=0 erfüllt:
Skizze zum Satz von Rolle (Lukasstockner, Who2010: CC BY-SA 4.0)
Wie können wir diesen Satz für den Fall f(a)\neq f(b) verallgemeinern? Muss die Ableitung f'(\xi ) für ein \xi \in (a,b) auch einen bestimmten Wert annehmen? Zunächst fällt auf, dass f'(\xi ) nicht zwangsläufig 0 sein muss:
Image 1 about the mean-value theorem (Lukasstockner, Who2010: CC BY-SA 4.0)
Überlegen wir uns nochmal, wie die Situation beim Satz von Rolle war. Zum einen ist die Steigung der Tangente an den Graphen von f in (\xi ,f(\xi )) gleich f'(\xi )=0. Zum anderen ist aber auch die Steigung der Sekante durch die beiden Randpunkte (a,f(a)) und (b,f(b)) von f gleich {\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}=0, da f(a)=f(b) und damit f(b)-f(a)=0 ist. Die Sekante zwischen den Punkten (a,f(a)) und (b,f(b)) und die Tangente im Punkt (\xi ,f(\xi )) liegen damit parallel:
figure 2 about mean-value heorem (Lukasstockner, Who2010: CC BY-SA 4.0)
Sei nun allgemeiner f(a)\neq f(b). Betrachten wir die Sekantensteigung {\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}} zwischen den Punkten (a,f(a)) und (b,f(b)). Diese ist ungleich Null und entspricht der mittleren Steigung von f im Intervall [a,b]. Fassen wir beispielsweise die Funktion als Ortsfunktion eines Autos in Abhängigkeit von der Zeit auf, so entspricht die mittlere Steigung der Durchschnittsgeschwindigkeit {\overline {v}} des Autos in der Zeit von a bis b.
Wenn das Auto zum Zeitpunkt a schneller als {\overline {v}} fährt (sprich: Die Ableitung f'(a) ist größer als die Sekantensteigung {\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}), so muss es bis zum Zeitpunkt b Zeiten gegeben haben, an denen es langsamer als {\overline {v}} gefahren ist, sonst kann es die Durchschnittsgeschwindigkeit {\overline {v}} nicht erreichen. Bei einem Beschleunigungs- oder Bremsvorgang nimmt das Auto alle Geschwindigkeiten zwischen Anfangs- und Endgeschwindigkeit an und springt nicht einfach von der Anfangs- auf die Endgeschwindigkeit (hier nehmen wir an, dass die Geschwindigkeitsfunktion stetig ist). Da das Auto mal schneller und mal langsamer als {\overline {v}} war, muss es einen Zeitpunkt \xi geben, an dem es genau die Geschwindigkeit {\overline {v}} hat. Analog können wir argumentieren, wenn das Auto zum Zeitpunkt a langsamer als {\overline {v}} fährt. Für unsere Funktion f bedeutet das, dass es tatsächlich ein \xi \in (a,b) geben muss mit {\overline {v}}=f'(\xi )={\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}. Dies ist die Aussage des Mittelwertsatzes:
Image 3 about the mean-value theorem (Lukasstockner, Who2010: CC BY-SA 4.0)
Es scheint also ein \xi \in (a,b) mit f'(\xi )={\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}} zu geben. Diese Intuition wollen wir im Folgenden zu einem Satz formen und formal korrekt beweisen. In unserer Argumentation haben wir beispielsweise verwendet, dass die Ableitung stetig ist. Nun muss die betrachtete Funktion nicht stetig differenzierbar sein. Dass aber auch in diesem Fall der Mittelwertsatz erfüllt ist, werden wir im Beweis zeigen.

Mittelwertsatz

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Der Mittelwertsatz der Differentialrechnung ist eine Verallgemeinerung des error: internal links not implemented, yet! und lautet wie folgt:
Satz: Mittelwertsatz
Sei f:[a,b]\to \mathbb{R} eine stetige Funktion mit a<b und auf dem offenen Intervall (a,b) differenzierbar. Dann existiert ein \xi \in (a,b) mit f'(\xi )={\frac {f(b)-f(a)}{b-a}}.
Hinweis:
Die Voraussetzungen, um den Mittelwertsatz anzuwenden, entsprechen denen des Satzes von Rolle, nur dass f(a)=f(b) nicht gelten muss. Die benötigten Prämissen müssen aus denselben Gründen wie beim Satz von Rolle zutreffen. Ebenso liefert der Mittelwertsatz lediglich eine Existenzaussage. Das \xi mit der besagten Eigenschaft existiert, kann in der Praxis aber oftmals nicht explizit bestimmt werden. Auch muss das \xi \in (a,b) nicht eindeutig sein. In den folgenden Grafiken ist eine Funktion eingezeichnet, die die Sekantensteigung an zwei Stellen \xi _{1} und \xi _{2} annimmt:
Beispiel einer Funktion, die die Sekantensteigung zwischen a und b an zwei verschiedenen Stellen als Tangensteigung annimmt. (Stephan Kulla: CC BY-SA 4.0)
Ein Spezialfall sind lineare Funktionen f(x)=mx+n für x\in [a,b] mit m,n\in \mathbb{R} . In diesem Fall ist f'(x)=m={\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}} für alle x\in (a,b). Sprich: die Sekantensteigung wird überall als Tangentensteigung angenommen:
Special case of the mean-value theorem (Lukasstockner, Stephan Kulla, Who2010: CC BY-SA 4.0)

Beweis

Lösungsweg: Mittelwertsatz
Beweis
Wie oben schon erwähnt, wollen wir den Mittelwertsatz mit Hilfe des Satzes von Rolle beweisen. Dazu müssen wir aus der gegeben Funktion f:[a,b]\to \mathbb{R} eine Hilfsfunktion H:[a,b]\to \mathbb{R} so konstruieren, dass wir auf diese den Satz von Rolle anwenden können. Wir benötigen hierzu eine auf [a,b] stetige und auf (a,b) differenzierbare Funktion H. Zudem sollte H(a)=H(b) sein. Dann gilt mit dem Satz von Rolle H'(\xi )=0 für ein \xi \in (a,b). Können wir außerdem die Hilfsfunktion so wählen, dass H'(x)=f'(x)-{\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}} ist, so folgt aus H'(\xi )=0 die Gleichung f'(\xi )-{\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}=0. Dies ist äquivalent zu f'(\xi )={\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}, also der Formel des Mittelwertsatzes. Die Funktion
H:[a,b]\to \mathbb{R} ,\ H(x)=f(x)-{\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}(x-a)
besitzt die gewünschten Eigenschaften. Insbesondere ist
{\begin{aligned}H(a)&=f(a)-{\frac {f(b)-f(a)}{b-a}}(a-a)\\[0.5em]&=f(a)\\[0.5em]&=f(b)-(f(b)-f(a))\\[0.5em]&=f(b)-{\frac {f(b)-f(a)}{b-a}}(b-a)=H(b)\end{aligned}}
Die folgenden Grafiken illustrieren den Zusammenhang zwischen der Funktion f und der Hilfsfunktion H:
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Beweis: Mittelwertsatz
Beweis
Sei f:[a,b]\to \mathbb{R} eine stetige Funktion mit a<b und auf (a,b) differenzierbar. Eine passende Hilfsfunktion H:[a,b]\to \mathbb{R} ist gegeben durch
H(x)=f(x)-{\frac {f(b)-f(a)}{b-a}}(x-a)
H ist auf [a,b] stetig und auf (a,b) differenzierbar, da f nach Voraussetzung diese Bedingungen erfüllt und H eine Komposition aus f und dem Polynom ersten Grades {\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}(x-a) ist. Außerdem gilt
{\begin{aligned}H(a)&=f(a)-{\frac {f(b)-f(a)}{b-a}}(a-a)\\[0.5em]&=f(a)\\[0.5em]&=f(b)-(f(b)-f(a))\\[0.5em]&=f(b)-{\frac {f(b)-f(a)}{b-a}}(b-a)=H(b)\end{aligned}}
Nach dem Satz von Rolle existiert ein \xi \in (a,b) mit 0=H'(\xi )=f'(\xi )-{\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}. Es wurde also ein \xi \in (a,b) gefunden, das f'(\xi )={\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}} erfüllt. Somit folgt die Behauptung des Mittelwertsatzes.

Äquivalenz von Mittelwertsatz und Satz von Rolle

Der Mittelwertsatz und der error: internal links not implemented, yet! sind sogar äquivalent. Um dies zu zeigen, müssen wir einerseits aus dem Mittelwertsatz den Satz von Rolle folgern und andererseits aus dem Satz von Rolle den Mittelwertsatz beweisen. Letzteres haben wir aber bereits im Beweis dieses Kapitels getan, sodass wir nur noch vom Mittelwertsatz auf den Satz von Rolle schließen müssen.
Sei f:[a,b]\to \mathbb{R} eine stetige Funktion mit a<b und auf (a,b) differenzierbar. f ist also eine Funktion, auf die der Mittelwertsatz anwendbar ist. Weiterhin gelte f(a)=f(b), damit auch alle Voraussetzungen des Satzes von Rolle gegeben sind. Nach dem Mittelwertsatz existiert nun ein \xi \in (a,b) mit f'(\xi )={\tfrac {f(b)-f(a)}{b-a}}=0, denn mit f(a)=f(b) ist f(a)-f(b)=0. Es gibt also tatsächlich ein \xi \in (a,b) mit f'(\xi )=0, was genau die Aussage des Satzes von Rolle ist. Damit sind der Mittelwertsatz und der Satz von Rolle äquivalent.

Übungsaufgabe

Übung: Aufgabe
Sei f:[0,1]\to \mathbb{R} eine beliebige stetige, in (0,1) differenzierbare Funktion mit f(0)=0. Welchen Wert muss die Ableitungsfunktion f':[0,1]\to \mathbb{R} auf jeden Fall annehmen?
Da alle Prämissen des Mittelwertsatzes gegeben sind, ist dieser hier anwendbar. Deshalb existiert ein \xi \in (0,1) mit f'(\xi )={\frac {f(1)-f(0)}{1-0}}=f(1). Die Ableitungsfunktion muss also auf jeden Fall den Wert f(1) annehmen.

Anwendung: Beweis von Ungleichungen

Mit Hilfe des Mittelwertsatzes lassen sich häufig nützliche Ungleichungen beweisen. Der Trick dabei ist, zunächst den Mittelwertsatz auf eine Hilfsfunktion (die oftmals auf einer Seite der Ungleichung steht) anzuwenden. Anschließend schätzen wir dann den Ausdruck f'(\xi ) passend ab.

Beispielaufgabe: Beweis einer Ungleichung

Übung: Beweis einer Ungleichung mit dem Mittelwertsatz
Beweise, dass folgende Ungleichung für alle x>0 gilt:
{\sqrt {1+x}}\leq 1+{\frac x2}
Beweis
Wir wählen als Hilfsfunktion
f:\mathbb{R} ^{+}\to \mathbb{R} ,\ f(t)={\sqrt {1+t}}
Sei x\in \mathbb{R} ^{+} beliebig. Die Funktion f ist als Komposition stetiger Funktionen auf [0,x] stetig und auf (0,x) differenzierbar. Nach dem Mittelwertsatz gibt es daher ein \xi \in (0,x) mit
f'(\xi )={\frac {f(x)-f(0)}{x-0}}={\frac {{\sqrt {1+x}}-1}{x}}
Nun können wir f'(\xi ) abschätzen:
f'(\xi )={\frac {1}{2{\sqrt {1+\xi }}}}{\overset {\xi >0}{\leq }}{\frac 12}
Damit gilt die Ungleichung:
{\frac {{\sqrt {1+x}}-1}{x}}=f'(\xi )\leq {\frac 12}
Diese Ungleichung ist äquivalent zu der zu beweisenden Behauptung
{\sqrt {1+x}}\leq 1+{\frac x2}

Ungleichung zum Logarithmus

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Übung: Ungleichung zum Logarithmus
Zeige mit Hilfe des Mittelwertsatzes, dass folgende Ungleichung für alle x>1 erfüllt ist:
1-{\frac {1}{x}}<\ln(x)<x-1
Wie komme ich auf den Beweis?
Für die Ungleichung \ln(x)<x-1 gilt
{\begin{aligned}&&\ln(x)&<x-1\\[0.3em]&\iff {}&{\frac {\ln(x)}{x-1}}&<1\\[0.3em]&\iff {}&{\frac {\ln(x)-\ln(1)}{x-1}}&<1\end{aligned}}
Der Ausdruck {\tfrac {\ln(x)-\ln(1)}{x-1}} entspricht dem Differenzenquotienten {\tfrac {f(a)-f(b)}{a-b}} im Mittelwertsatz angewendet auf die Funktion \ln :[1,x]\to \mathbb{R} . Es gibt also ein \xi \in (1,x) mit \ln '(\xi )={\tfrac {\ln(x)-\ln(1)}{x-1}}. Wenn wir \ln '(\xi )<1 abschätzen können, so sind wir am Ziel. Nun ist \ln '(\xi )={\tfrac {1}{\xi }} und mit {\tfrac {1}{\xi }}<1 für \xi >1 können wir die Ungleichung {\tfrac {\ln(x)-\ln(1)}{x-1}}<1 beweisen. Schauen wir uns nun die fehlende Ungleichung 1-{\tfrac {1}{x}}<\ln(x) an:
{\begin{aligned}&&1-{\frac 1x}&<\ln(x)\\[0.3em]&\iff {}&{\frac {x-1}{x}}&<\ln(x)\\[0.3em]&\iff {}&{\frac {1}{x}}&<{\frac {\ln(x)}{x-1}}\\[0.3em]&\iff {}&{\frac {1}{x}}&<{\frac {\ln(x)-\ln(1)}{x-1}}\end{aligned}}
Wieder erscheint der Differenzenquotient {\tfrac {\ln(x)-\ln(1)}{x-1}} welcher nach dem Mittelwertsatz gleich einer Ableitung \ln '(\xi ) für ein \xi \in (1,x) ist. Nun ist \xi <x und damit können wir die fehlende Ungleichung {\tfrac 1x}<{\tfrac 1\xi }=\ln '(\xi )={\tfrac {\ln(x)-\ln(1)}{x-1}} beweisen.
Beweis
Sei x>1 beliebig. Wir definieren f:[1,x]\to \mathbb{R} durch f(t)=\ln(t). Dann ist f stetig auf dem kompletten Definitionsbereich [1,x] und ist auf (1,x) differenzierbar. Damit ist der Mittelwertsatz anwendbar. Nach diesem existiert ein \xi \in (1,x) mit
{\begin{aligned}&&f'(\xi )&={\frac {f(x)-f(1)}{x-1}}\\[0.3em]&\iff {}&\ln '(\xi )&={\frac {\ln(x)-\ln(1)}{x-1}}\\[0.3em]&\iff {}&{\frac 1\xi }&={\frac {\ln(x)}{x-1}}\end{aligned}}
Beweisschritt: \ln(x)<x-1
Wegen \xi \in (1,x) ist
{\begin{aligned}&&{\frac {\ln(x)}{x-1}}={\frac 1\xi }&{\overset {\xi >1}{<}}{\frac 11}=1\\[0.3em]&\iff {}&\ln(x)&<x-1\end{aligned}}
Beweisschritt: \ln(x)>1-{\frac 1x}
Wegen \xi \in (1,x) ist
{\begin{aligned}&&{\frac {\ln(x)}{x-1}}&={\frac 1\xi }{\overset {\xi <x}{>}}{\frac 1x}\\[0.3em]&\iff {}&\ln(x)&>{\frac {x-1}{x}}=1-{\frac 1x}\end{aligned}}
Hinweis:
Die Ungleichung lässt sich für alle x>0 erweitern. Für x=1 gilt
1-{\frac 11}=0=\ln(1)=1-1
Ist nun 0<y<1, so gibt es ein x>1 mit y={\tfrac 1x}. Damit gilt dann
\ln(y)=\ln \left({\frac 1x}\right)=-\ln(x)<-\left(1-{\frac 1x}\right)={\frac 1x}-1=y-1
sowie
\ln(y)=\ln \left({\frac 1x}\right)=-\ln(x)>-\left(x-1\right)=1-x=1-{\frac 1y}
Dabei haben wir für die Abschätzungen die beiden oben bewiesenen Ungleichungen verwendet. Also gilt für alle x>0:
1-{\frac {1}{x}}\leq \ln(x)\leq x-1

Anwendung: Der Schrankensatz error: TODO

Definition und Beweis des Schrankensatzes

Satz: Schrankensatz
Sei f:[a,b]\to \mathbb{R} stetig und in (a,b) differenzierbar. Weiter sei die Ableitungsfunktion f':(a,b)\to \mathbb{R} beschränkt. Dann gibt es mit L=\sup _{{x\in (a,b)}}|f'(x)| ein L\in \mathbb{R} _{0}^{+}, sodass |f(x)-f(y)|\leq L|x-y| für alle x,y\in [a,b] gilt. Insbesondere gilt die Abschätzung, falls f auf [a,b] stetig differenzierbar ist.
Beweis: Schrankensatz
Beweis
Seien x,y\in [a,b] beliebig gewählt mit x<y. Schränken wir nun den Definitionsbereich von f auf [x,y] ein, so bleiben Stetigkeit und Differenzierbarkeit erhalten. Der Mittelwertsatz ist anwendbar. Also gibt es ein \xi \in (x,y) mit f'(\xi )={\tfrac {f(x)-f(y)}{x-y}}.
Da nach Voraussetzung f' beschränkt ist, existiert L=\sup _{{x\in (a,b)}}|f'(x)|. Für dieses L\in \mathbb{R} _{0}^{+} gilt |f'(\xi )|\leq L für alle \xi \in (x,y). Somit ist {\tfrac {|f(x)-f(y)|}{|x-y|}}=|f'(\xi )|\leq L. Dies ist äquivalent zur Behauptung.
Wenn f stetig differenzierbar auf [a,b] ist, so besitzt die stetige Ableitungsfunktion ein Maximum und Minimum. Sie ist damit beschränkt und der Satz kann dann auch für diese Funktion angewandt werden.

Lipschitz-Variante des Schrankensatz

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Die Ungleichung |f(x)-f(y)|\leq L|x-y| für alle x,y\in [a,b] besagt, dass f Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante L\in \mathbb{R} _{0}^{+} ist. Daher können wir den Schrankensatz auch folgendermaßen formulieren:
Satz: Lipschitz-Variante des Schrankensatz
Sei f:[a,b]\to \mathbb{R} stetig und auf (a,b) differenzierbar. Weiter sei die Ableitungsfunktion f':(a,b)\to \mathbb{R} beschränkt. Dann ist f Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante L=\sup _{{x\in (a,b)}}|f'(x)|. Insbesondere ist jede auf [a,b] stetig differenzierbare Funktion f Lipschitz-stetig.
Beispiel: Lipschitz-Stetigkeit von Sinus und Cosinus
Beispiel
\sin :\mathbb{R} \to \mathbb{R} und \cos :\mathbb{R} \to \mathbb{R} sind stetig und differenzierbar auf \mathbb{R} . Außerdem sind deren Ableitungen beschränkt, da für alle x\in \mathbb{R} gilt:
{\begin{aligned}|(\sin )'(x)|&=|\cos(x)|\leq 1\\[0.3em]|(\cos )'(x)|&=|\sin(x)|\leq 1\end{aligned}}
Damit sind die beiden Funktionen Lipschitz-stetig mit Lipschitz-Konstante L=1. Insbesondere gelten für alle x,y\in \mathbb{R} die Abschätzungen
|\sin(x)-\sin(y)|\leq |x-y|
und
|\cos(x)-\cos(y)|\leq |x-y|
Verständnisfrage: Die Umkehrung des Schrankensatzes lautet: „Sei f:[a,b]\to \mathbb{R} stetig und in (a,b) differenzierbar. Weiter sei f Lipschitz-stetig. Dann ist die Ableitungsfunktion f':(a,b)\to \mathbb{R} beschränkt.“ Ist diese Aussage richtig?
Ja, diese Aussage stimmt ebenfalls. Da f differenzierbar ist existiert für jedes {\tilde x}\in (a,b) der Grenzwert
f'({\tilde x})=\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}
Da f Lipschitz-stetig ist, gibt es für alle x,{\tilde x}\in [a,b] ein L>0 mit
|f(x)-f({\tilde x})|\leq L|x-{\tilde x}|\iff \left|{\tfrac {f({\tilde x})-f(x)}{{\tilde x}-x}}\right|\leq L
Mit der Stetigkeit der Betragfunktion und den Grenzwertsätzen gilt damit
|f'({\tilde x})|=\left|\lim _{{x\to {\tilde x}}}{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\right|=\lim _{{x\to {\tilde x}}}\left|{\frac {f(x)-f({\tilde x})}{x-{\tilde x}}}\right|\leq L
Also ist f' beschränkt.

Praxis: Geschwindigkeitskontrolle mit Lichtschranken

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Der ein oder andere, der schon einmal geblitzt worden ist, ist unbewusst mit dem Mittelwertsatz in Berührung gekommen. Zumindest wenn es sich um einen Blitzer Lichtschranken-Technik gehandelt hat. Stell dir vor, du fährst mit dem Auto auf einer Landstraße. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt v_{{\max }}=100\,{\tfrac {{\mathrm {km}}}{{\mathrm h}}}. Die zurückgelegte Strecke deines Autos ist durch die differenzierbare Ortsfunktion s gegeben, die von der Zeit t abhängt. Dabei entspricht die Ableitung der Ortsfunktion zum Zeitpunkt t der momentanen Geschwindigkeit, d.h. s'(t)=v(t). Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Lichtschranken durchfährt man zwei Lichtschranken, die an zwei festen Streckenpunkten s_{0} und s_{1} platziert sind. Passierst man die beiden Lichtschranken zu den Zeitpunkten t_{0} und t_{1}, so beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen diesen beiden Messpunkten
{\overline {v}}={\frac {s_{1}-s_{0}}{t_{1}-t_{0}}}={\frac {s(t_{1})-s(t_{0})}{t_{1}-t_{0}}}
Da die Ortsfunktion s:[t_{0},t_{1}]\to \mathbb{R} die Voraussetzungen des Mittelwertsatzes erfüllt, gibt es einen Zeitpunkt {\tilde {t}}\in (t_{0},t_{1}) mit
s'({\tilde {t}})=v({\tilde {t}})={\frac {s(t_{1})-s(t_{0})}{t_{1}-t_{0}}}={\overline {v}}
Die gemessene Durchschnittsgeschwindigkeit zwischen den beiden Schranken muss man also mindestens zu einem Zeitpunkt gefahren sein. Ist nun {\overline {v}}>100+{\text{tol}}, wobei {\text{tol}} eine gewisse Toleranzgrenze ist (üblicherweise 3%), so wird man geblitzt und zur Kasse gebeten! 😃 Um Fehlmessungen zu vermeiden, werden in der Praxis mehr als zwei Lichtschranken verwendet und mehr als eine Messung durchgeführt. Das Prinzip bleibt aber dasselbe. Eine weitere Technik zur Geschwindigkeitsmessung beruht im Übrigen auf dem Doppler-Effekt und verwendet ein Radar zur Ermittlung der Geschwindigkeit.

Zweiter Mittelwertsatz

Es gibt eine weitere Variante des Mittelwertsatzes, welcher zweiter oder auch verallgemeinerter Mittelwertsatz genannt wird. Deswegen wird der „normale“ Mittelwertsatz auch erster Mittelwertsatz genannt. Wir werden sehen, dass auch der zweite Mittelwertsatz aus dem error: internal links not implemented, yet! folgt. Für die zweite Variante benötigen wir neben unserer Funktion f noch eine Funktion g, die ebenfalls die Voraussetzungen des Mittelwertsatzes erfüllt. Der zweite Mittelwertsatz ist nützlich, da sich aus ihm die error: internal links not implemented, yet! herleiten lässt.

Satz und Beweis

Satz: Zweiter Mittelwertsatz
Seien f,g:[a,b]\to \mathbb{R} zwei stetige Funktionen, die auf (a,b) differenzierbar sind. Weiter sei g'(x)\neq 0 für alle x\in (a,b). Dann ist g(b)\neq g(a) und es existiert ein \xi \in (a,b) mit
{\frac {f(b)-f(a)}{g(b)-g(a)}}={\frac {f'(\xi )}{g'(\xi )}}
Beweis
Angenommen es gilt g(b)=g(a), so gibt es nach dem Satz von Rolle ein \xi \in (a,b) mit g'(\xi )=0. Dies widerspricht der Voraussetzung des Satzes, dass für alle x\in (a,b) die Ungleichung g'(x)\neq 0 gilt und so muss g(b)\neq g(a) gelten. In Analogie zur Hilfsfunktion aus dem Beweis zum Mittelwertsatz, wählen wir hier die Hilfsfunktion
F:[a,b]\to \mathbb{R} ,\ F(x)=f(x)-{\tfrac {f(b)-f(a)}{g(b)-g(a)}}(g(x)-g(a))
Diese ist auf [a,b] stetig und auf (a,b) differenzierbar, als Komposition stetiger bzw. differenzierbarer Funktionen. Außerdem gilt F(a)=f(a)=F(b). Damit ist der Satz von Rolle anwendbar, und es gibt ein \xi \in (a,b) mit
F'(\xi )=f'(\xi )-{\tfrac {f(b)-f(a)}{g(b)-g(a)}}g'(\xi )=0
Dies ist äquivalent zu {\tfrac {f(b)-f(a)}{g(b)-g(a)}}={\tfrac {f'(\xi )}{g'(\xi )}}.

Aufgabe zum zweiten Mittelwertsatz

Übung: Gegenbeispiel zum zweiten Mittelwertsatz
Betrachte die Polynomfunktionen
{\begin{aligned}f:[0,1]\to \mathbb{R} ,\ f(x)=3x^{4}-2x^{3}-x^{2}+1\\g:[0,1]\to \mathbb{R} ,\ g(x)=4x^{3}-3x^{2}-2x\end{aligned}}
Zeige, dass kein \xi \in (0,1) existiert mit
{\frac {f(1)-f(0)}{g(1)-g(0)}}={\frac {f'(\xi )}{g'(\xi )}}
Wie verträgt sich dieses Ergebnis mit dem zweiten Mittelwertsatz?
Es gilt
{\frac {f(1)-f(0)}{g(1)-g(0)}}={\frac {(3-2-1+1)-(0-0-0+1)}{(4-3-2)-(0-0-0)}}={\frac {0}{-1}}=0
Andereseits ist für alle \xi \in (0,1):
{\frac {f'(\xi )}{g'(\xi )}}={\frac {12\xi ^{3}-6\xi ^{2}-2\xi }{12\xi ^{2}-6\xi -2}}={\frac {\xi (12\xi ^{2}-6\xi -2)}{12\xi ^{2}-6\xi -2}}=\xi \neq 0
Damit muss stets {\tfrac {f(1)-f(0)}{g(1)-g(0)}}\neq {\tfrac {f'(\xi )}{g'(\xi )}} für alle \xi \in (0,1) sein. Nun muss für den zweiten Mittelwertsatz die Voraussetzung g'(x)\neq 0 für alle x\in (0,1) erfüllt sein. Es ist g' auf [0,1] stetig und folgende Ungleichungen gelten:
g'(0)=0-0-2=-2<0
und
g'(1)=12-6-2=4>0)
Nach dem error: internal links not implemented, yet! gibt es daher ein x_{0}\in (0,1) mit g'(x_{0})=0. Also sind die Voraussetzungen des zweiten Mittelwertsatzes nicht erfüllt, und dieser kann somit hier nicht angewandt werden.

Bemerkungen

Bemerkung 1: Offensichtlich erhalten wir für g(x)=x den ersten Mittelwertsatz aus dem Zweiten. Den Zweiten haben wir aber aus dem Satz von Rolle gefolgert. Da der erste Mittelwertsatz und der Satz von Rolle äquivalent sind, folgt also auch der zweite Mittelwertsatz aus dem Ersten. Die beiden Mittelwertsätze sind daher äquivalent.
Bemerkung 2: Lassen wir die Voraussetzung g'(x)\neq 0 für alle x\in (a,b) weg, so gilt der zweite Mittelwertsatz immer noch in der Form
(f(b)-f(a))g'(\xi )=(g(b)-g(a))f'(\xi )
Verständnisfrage: Warum gilt der zweite Mittelwertsatz auch in dieser allgemeineren Form?
Angenommen, es gibt (mindestens) ein x_{0}\in (a,b) mit g'(x_{0})=0. Gilt außerdem g(a)=g(b), so gibt es mit dem Satz von Rolle ein \xi =x_{0}\in (a,b) mit g'(\xi )=0, und auf beiden Seiten der Gleichung steht Null. Gilt g(a)\neq g(b), so funktioniert der Beweis analog zu dem oben mit der Hilfsfunktion f.

Übersicht der Folgerungen aus den Mittelwertsätzen

In der Einleitung hatten wir schon erwähnt, dass sich aus den Mittelwertsätzen zahlreiche wichtige Resultate folgern lassen.
Die aufgeführten Punkten sind im folgenden Übersichtsdiagramm zusammengefasst:
diagramm about the corollars of the mean value theorem (Who2010: CC BY-SA 4.0)