In diesem Kapitel werden wir sehen, dass unbeschränkte Folgen divergieren müssen. Daraus werden wir folgern, dass konvergente Folgen beschränkt sein müssen.

Unbeschränkte Folgen divergieren

Im Kapitel error: internal links not implemented, yet! haben wir bereits gezeigt, dass die Folge \left(2^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} divergiert. Wir hatten ausgenutzt, dass diese Folge über alle Grenzen hinauswächst. Wenn wir nämlich ein beliebiges a\in \mathbb{R} festhalten, dann gibt es ein N\in \mathbb{N} mit 2^{N}\geq a+1. Auch für alle n\in \mathbb{N} mit n\geq N ist 2^{n}\geq a+1 und damit
{\begin{aligned}|2^{n}-a|&=2^{n}-a\\&\geq (a+1)-a=1\end{aligned}}
Unendlich viele Folgenglieder von \left(2^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} liegen damit außerhalb der \epsilon -Umgebung (a-1;a+1). Deshalb kann \left(2^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} nicht gegen a konvergieren. Sonst müssten fast alle Folgenglieder von \left(2^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} in (a-1;a+1) liegen, was aber nicht der Fall ist. Weil a beliebig gewählt wurde, kann \left(2^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} keinen Grenzwert besitzen und muss also divergieren.
Diese Beweisskizze können wir auf beliebige unbeschränkte Folgen verallgemeinern. Wir hatten ausgenutzt, dass \left(2^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} beliebig groß wird. Erinnern wir uns an die Definition einer unbeschränkten Folge:
Eine Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} ist unbeschränkt, wenn es für alle S\geq 0 unendlich viele Folgenglieder a_{n} mit |a_{n}|\geq S gibt.
Diese Eigenschaft können wir verwenden, um folgenden Satz zu beweisen:
Satz: Unbeschränkte Folgen divergieren
Sei (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} eine unbeschränkte Folge. Für alle S\geq 0 gibt es also unendlich viele Folgenglieder a_{n} mit |a_{n}|\geq S. Dann muss die Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} divergieren.
ErklärungMit diesem Satz können wir beweisen, dass eine Folge divergiert. Wenn wir nachweisen können, dass eine Folge unbeschränkt ist, wissen wir also sofort. dass sie divergiert.
Wie komme ich auf den Beweis?
Genau wie in der obigen Beweisskizze nehmen wir eine beliebige Zahl a und zeigen, dass die unbeschränkte Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} nicht gegen a konvergieren kann. Dafür müssen wir zeigen, dass |a_{n}-a| für unendlich viele n\in \mathbb{N} größer als eine fixe Zahl \epsilon >0 ist. Wir müssen also |a_{n}-a| nach unten abschätzen. Benutzen wir hierzu die umgekehrte Dreiecksungleichung:
|a_{n}-a|\geq ||a_{n}|-|a||
Wir wissen, dass unendlich viele |a_{n}| größer sind als jede fixe Schranke S\geq 0, da (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} unbeschränkt ist. Wählen wir S=|a|+1. Jetzt können wir wie in der Beweisskizze oben mit \left(2^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} zeigen:
{\begin{aligned}|a_{n}-a|&\geq ||a_{n}|-|a||\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ |a_{n}|\geq |a|+1\geq |a|\right.}\\[0.1em]&\geq |a_{n}|-|a|\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ |a_{n}|\geq |a|+1\right.}\\[0.1em]&\geq (|a|+1)-|a|=1\end{aligned}}
Aus |a_{n}-a|\geq 1 folgt, dass a_{n} nicht in der \epsilon -Umgebung (a-1;a+1) liegen kann. Damit kann aber (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} nicht gegen a konvergieren, was wir hier zeigen müssen.
Beweis
Sei (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} eine unbeschränkte Folge. Sei a\in \mathbb{R} beliebig. Weil (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} unbeschränkt ist, gibt es unendlich viele Folgenglieder a_{n} mit |a_{n}|\geq |a|+1. Für diese Folgenglieder ist dann
{\begin{aligned}&|a_{n}-a|\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ {\text{umgekehrte Dreiecksungleichung}}\right.}\\[0.3em]&\geq ||a_{n}|-|a||\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ |a_{n}|\geq |a|+1\geq |a|\right.}\\[0.3em]&\geq |a_{n}|-|a|\\[0.3em]&{\color {OliveGreen}\left\downarrow \ |a_{n}|\geq |a|+1\right.}\\[0.3em]&\geq (|a|+1)-|a|=1\end{aligned}}
Diese unendlich vielen Folgenglieder a_{n} liegen außerhalb des Intervalls (a-1;a+1). Damit kann (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} nicht gegen a konvergieren. Weil wir a beliebig gewählt haben, muss (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} divergieren.
Beispiel: Geometrische Folge
BeispielEine Verallgemeinerung des Einführungsbeispiels ist: Für |q|>1 divergiert die geometrische Folge \left(q^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }}. Nach den error: internal links not implemented, yet! gibt es zu jedem S>0 unendlich viele n\in \mathbb{N} mit |q^{n}|=|q|^{n}>S. Also ist \left(q^{n}\right)_{{n\in \mathbb{N} }} unbeschränkt und somit divergent.

Konvergente Folgen sind beschränkt

Beweis über Kontraposition

Laut dem obigen Satz müssen unbeschränkte Folgen divergieren. Mit Hilfe von Kontraposition können wir folgern, dass konvergente Folgen beschränkt sein müssen. Das Prinzip der Kontraposition lautet:
(A\implies B)\iff (\neg B\implies \neg A)
Obiger Satz ist die Implikation:
(a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}{\text{ ist unbeschränkt}}\implies (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}{\text{ divergiert}}
Also muss nach dem Prinzip der Kontraposition gelten:
\neg {\big (}(a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}{\text{ divergiert}}{\big )}\implies \neg {\big (}(a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}{\text{ ist unbeschränkt}}{\big )}
Dies bedeutet dasselbe wie
(a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}{\text{ konvergiert}}\implies (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}{\text{ ist beschränkt}}
Wer daran zweifelt, dass Kontraposition tatsächlich funktioniert, kann sich die Wahrheitstafeln von (A\implies B) und (\neg B\implies \neg A) aufschreiben und vergleichen. Ein kleines Beispiel ist: "Wenn es regnet (A), wird der Boden nass (B)." Deshalb gilt auch: "Wenn der Boden nicht nass ist (\neg B), kann es nicht regnen (\neg A)." Aus der zweiten Implikation können wir umgekehrt auch die erste folgern. Durch die Kontraposition gilt also folgender Satz, den wir insbesondere in späteren Beweisen nutzen werden:
Satz: konvergente Folgen sind beschränkt
Jede konvergente Folge ist beschränkt. Wenn also eine Folge (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} konvergiert, dann gibt es ein S\geq 0 mit |a_{n}|\leq S für alle n\in \mathbb{N} .
Hinweis:
Die Umkehrung des Satzes muss nicht gelten. Das bedeutet: Eine beschränkte Folge muss nicht konvergieren. Eine divergente Folge muss nicht unbeschränkt sein.
Ein Gegenbeispiel ist die Folge ((-1)^{n})_{{n\in \mathbb{N} }}. Diese Folge ist beschränkt, jedoch nicht konvergent.

Alternativer direkter Beweis

Es gibt noch einen alternativen Beweis dafür, dass konvergente Folgen beschränkt sind. Diesen findet man in anderen Lehrbüchern. Er zeigt, wie die \epsilon -Definition des Grenzwerts für Beweise ausgenutzt werden kann.
Beweis: konvergente Folgen sind beschränkt
Beweis
Sei (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} eine konvergente Folge. Also muss es eine reelle Zahl a geben, so dass es für alle \epsilon >0 eine Zahl N\in \mathbb{N} mit |a_{n}-a|<\epsilon für alle n\geq N gibt.
Wir fixieren nun \epsilon =1. Welche positive Zahl wir hier für \epsilon fixieren, ist jedoch letzten Endes egal. Nun gibt es eine Zahl N\in \mathbb{N} , so dass |a_{n}-a|<1 für alle n\geq N ist. Alle Folgenglieder nach a_{N} liegen damit in der \epsilon -Umgebung (a-1;a+1). Damit sind alle Folgenglieder nach a_{N} kleiner als a+1. Wir wissen also:
(a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}=(a_{1},\,a_{2},\,a_{3},\ldots ,\,{\color {OliveGreen}\underbrace {a_{N},\,a_{{N+1}},\,a_{{N+2}},\,a_{{N+3}},\ldots }_{{{\text{Diese Folgenglieder sind kleiner als }}a+1}}})
Vor a_{N} gibt es nur endlich viele Folgenglieder. Für diese gibt es das Maximum M=\max\{a_{1},\,a_{2},\,a_{3},\ldots ,\,a_{{N-1}}\}. Es ist somit
(a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }}=({\color {Blue}\underbrace {a_{1},\,a_{2},\,a_{3},\ldots ,\,}_{{{\text{Diese Folgenglieder sind kleiner gleich }}M\quad }}}{\color {OliveGreen}\underbrace {a_{N},\,a_{{N+1}},\,a_{{N+2}},\,a_{{N+3}},\ldots }_{{\quad {\text{Diese Folgenglieder sind kleiner als }}a+1}}})
Insgesamt sind alle Folgenglieder nach oben durch das Maximum von M und a+1 beschränkt, also ist die Folge nach oben beschränkt. Analog kann gezeigt werden, dass die Folge nach unten beschränkt ist. Dies beweist, dass (a_{n})_{{n\in \mathbb{N} }} eine beschränkte Folge ist.